Lieblingsstücke
gebe ich nicht mehr her. Da ertrage ich Wilhelm Busch von morgens bis abends. Am liebsten würde ich nach oben stürmen, zu ihm ins Hochbett kriechen und ihn fest umarmen. Mein Vater ist ein Goldschatz. Ich dachte, der macht sich, kaum dass wir zur Tür raus sind, einen schönen Lenz mit der schnuckeligen Iris. Und dann so was! Es gibt doch noch wahre Überraschungen. Vielleicht hat er Lust, ins eBay-Geschäft einzusteigen? Oder als mein Assistent zu fungieren? Obwohl Männer wie mein Vater sich kaum zum Assistenten eignen. Wenn überhaupt,
dann sind Männer dieser Altersklasse zu Hause Assistenten. Innerbetrieblich sozusagen. Meist ohne ihr Wissen. Beruflich tun sie sich mit dieser Rolle verdammt schwer. Aber wir werden sehen. Wenn er finanziell nicht so wahnsinnige Ansprüche stellt, könnte ich auch über eine Teilhaberschaft nachdenken. Zum Dank werde ich ihm vom Einkaufen grünen Tee und frischen Ingwer mitbringen. Papa soll sich wohlfühlen!
Zum Glück ist heute Freitag. Freitag hat sich zu meinem Lieblingswochentag entwickelt. Nicht nur, weil Freitag – welch enorme Erkenntnis – der Tag vor dem Wochenende ist, sondern vor allem, weil ich freitags keine Kunden empfange. Mit anderen Worten: Der Freitagvormittag gehört mir. Deshalb mache ich meistens freitags den Großeinkauf und versuche dabei vorausschauend einzukaufen. Ich überlege, ob ich meinem Vater Bescheid sagen soll, bevor ich losfahre, entscheide mich dann aber dagegen. Soll er doch in aller Ruhe weiterschlafen. Nur weil man selbst zum Frühaufstehen gezwungen ist, muss man andere ja nicht mitleiden lassen.
Auf dem Weg zum Supermarkt mache ich einen schnellen Anruf bei meiner Mutter.
»Ich bin so allein, Andrea«, beschwert sie sich bei mir. Hat ihr Fred keine Zeit oder hat er sich schon eine andere »saftige« Golferin gesucht?
»Was meinst du, soll ich heute Mittag mal spontan vorbeischauen?«, schlägt sie dann auch noch vor.
Jetzt heißt es diplomatisch sein. Ihren Vorschlag ablehnen, aber nicht die komplette Hoffnung zerstören und vor allem, meine Mutter nicht allzu sehr verärgern.
»Du, Mama, ich glaube, das wäre nicht so schlau. Der Papa braucht noch ein paar Tage, um sich zu berappeln.«
Sie seufzt. »Aber, Andrea, achte auf alle Fälle auf seine Ernährung. Und dass er auch ja seine Blutdrucktabletten nimmt. Ach und richtest du ihm bitte Grüße aus.«
So kleinlaut habe ich meine Mutter selten erlebt. Ich nutze den Moment und frage, was sie, neulich abends, mit der Bemerkung über Birgit gemeint hat.
»Sag mal Mama, hat die Birgit ein Verhältnis gehabt?«
»Frag sie doch einfach selbst«, antwortet meine Mutter geschickt, »ich habe keine Lust, über andere zu reden.«
Was hat Fred da nur mit meiner Mutter gemacht? Meine Mutter, die sonst nichts Schöneres kennt, als ausgiebig über andere zu klatschen, die immer weiß, wer wo und mit wem was tut.
Da sag nochmal einer, man könnte sich ab einem gewissen Alter nicht mehr verändern. Von wegen.
Nachdem ich den Spontanbesuch meiner Mutter erfolgreich abgewimmelt habe, rufe ich meine Freundin Sabine an. Sabine ist die Ewig-Suchende, auf Dauer-Pirsch sozusagen, und seit vielen Jahren eine meiner besten Freundinnen. Sie teilt sich diese Position mit Heike, die an und für sich meine allerbeste Freundin ist, aber so weit weg wohnt – nämlich im fernen München. Sabine ist bester Laune.
»Stell dir vor«, berichtet sie euphorisch, »ich habe Post von dieser Internet-Partneragentur. Da hat jemand fast neunzig Prozent Übereinstimmung mit mir. Und er will mich so bald wie möglich treffen. Ein unglaublicher Typ. So gebildet und charmant. Und eine so schöne Sprache. Und – jetzt kommt der Knaller, Andrea – endlich mal einer, der eine ordentliche Rechtschreibung hat.« Sie holt Luft und gibt mir dadurch Gelegenheit, auch mal zu sprechen.
»Klingt doch nicht schlecht. Hat er ein Bild geschickt?
Ich meine, es ist schön, wenn er einigermaßen fehlerfrei schreiben kann«, obwohl ich eigentlich finde, dass das zu den Minimalanforderungen gehört, »aber was ist mit der Optik?«, spreche ich ein heikles Sabine-Thema an. Um es mal freundlich zu formulieren: Sabine hat einen sehr seltsamen Männergeschmack. Dabei ist sie selbst eine ausgesprochen attraktive Person. Äußerlichkeiten lassen sich richten, ist ihr Credo. Das hat sie auch bei Mett-Mischi bewiesen. Mett-Mischi (seinen Spitznamen hat er wegen seiner Vorliebe für Mett-Brötchen) ist ein ehemaliger Klassenkamerad von mir,
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