Lieblingsstücke
eine nette Wohnung, ein ordentlicher Beruf und jede Menge freie Zeit. Dazu ab und
an einen Mann. Wenn ich darüber nachdenke und merke, dass ich diese Vorstellung verlockend finde, fühle ich mich direkt schlecht. Undankbar. So wenig mütterlich. So egoman. Schließlich habe ich, wenn man es sich genau überlegt, kaum Grund zu jammern. Die Kinder sind gesund, haben kein ADS oder Ähnliches, allerdings auch keinerlei Hochbegabung. Wir leben in sogenannten geregelten Verhältnissen, sind nicht reich, haben aber auch keine Geldsorgen. Die Welt rund um Hartz Vier ist weit weg. Glücklicherweise.
Sind solche Gedanken normal, oder habe nur ich sie? Auf alle Fälle gehören sie nicht zu den normalen Gesprächsthemen unter Müttern. Kinder sind die Erfüllung. Punkt. Zweifel nicht erwünscht. Diskussionen schon gar nicht. Ich liebe meine Kinder, kann mir aber durchaus auch ein Leben ohne Kinder vorstellen. Bevor ich welche hatte, war das für mich undenkbar. Da war klar, Kinder gehören für mich dazu. Ist immer das, was man hat, nicht richtig? Oder weniger erstrebenswert? Bin ich eine Rabenmutter, nur weil ich manchmal, ganz im Geheimen, solche Gedanken hege? Oder braucht man die mentale Auszeit, um sich dann wieder mit voller Kraft dem Alltag zu stellen? Ist es nicht genau das, nämlich der Alltag, der mich stört? Weniger die Kinder als das Drumherum? Eher das ewige Einerlei. Dieses Immer-so-weiter. Ohne Aussicht auf größere Abwechslung. Was erwarte ich vom Leben? Brauche ich mehr Animation? Bin ich für das Gleichförmige im Leben nicht selbst verantwortlich? Vertut man seine wertvolle und endliche Zeit, indem man auf spektakuläre Feuerwerke wartet, anstatt sich mit den kleinen Chinakrachern zu amüsieren? Muss man lernen, die normalen Dinge zu genießen? Bin ich unersättlich, vermessen? Sind diese Gedanken Anzeichen
einer Depression oder bin ich nur eine nörgelige, unzufriedene Hausfrau mit einem Chaoskeller im Nacken?
Egal, was auch immer ich bin, ich muss die Kinder wecken. Klar hätte ich Lust, hier sitzen zu bleiben, mir noch einen schönen Kaffee zu machen und meinen Gedanken nachzuhängen. Wäre es so schlimm, wenn sie mal ordentlich ausschlafen und den Tag hier verbringen würden? Aber was würde mich diese halbe Stunde Ungestörtheit kosten? Zu viel.
Auf dem Küchentisch ein Zettel. Von Christoph.
Für meine Erdkunde-Königin!
Wünsche einen schönen Tag. Du sahst atemberaubend aus!
Denkst du dran – heute Abend muss ich zum Flughafen.
New York ruft. Gepackt habe ich schon.
Dicken Kuss.
PS : Du hast noch Klebeband unter deinem Busen …
In solchen Momenten denke ich: »Ja – da habe ich doch den Richtigen geheiratet.« Meine Laune steigt sofort. Ich lege den Zettel in die Küchenschublade, für schlechte Tage, und widme mich weitere kostbare fünf Minuten nur meinem Kaffee. Dann schleiche ich mich hoch und tue das, was ich tun muss. Wie heißt es so schön bei
Dinner for one
: »Same procedure as every year.« Bei mir: Same procedure as every Wochentag.
Auch meinen Vater wecke ich direkt mit. Mit dem passenden Wilhelm-Busch-Zitat: »Aus faulen Eiern werden keine Küken. Guten Morgen, Papa.«
Er fasst sich an den Schädel und sagt nur: »Rotwein ist für einen alten Knaben eine von den besten Gaben.« Kaum wach, schon mit einem passenden Zitat pariert.
»Lass mich noch ein bisschen, Andrea. Die Iris und ich haben gut was weggepetzt.«
»Schlaf ruhig weiter, du Glücklicher«, zeige ich mich in Gönnerlaune. Er kuschelt sich in seine Bettwäsche und sieht in seinem Hochbett richtig niedlich aus. Ich sollte meine Mutter anrufen und sie herbestellen. Bei dem Anblick würde ein Felsbrocken erweichen.
Heute Morgen läuft bei den Kindern alles schon erheblich besser als gestern. Kinder können sich schnell an Dinge gewöhnen. Das Aufstehen klappt, ohne dass einer dem anderen größere Verletzungen oder Demütigungen zufügt. Immerhin. Es muss ja nicht gleich in morgendliche Liebkosungen ausarten.
Nachdem sie weg sind, mache ich mich daran, die »Kindergeburtstagsspuren« von gestern zu beseitigen. Als ich in den Keller komme, bin ich baff. Es sieht besser aus als seit Wochen. Ein Stapel Päckchen steht ordentlich verpackt in der einen Ecke, die Papiere auf dem Tisch sehen sortiert aus – und auf alledem liegt ein großes Blatt Papier mit der Aufschrift: »Stets findet Überraschung statt, da wo man’s nicht erwartet hat!«
So, Mama, das war’s, diesen Mann, genannt Franz oder auch Papa,
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