Lieblingsstücke
Die Hauptstadt von Aserbaidschan heißt Baku.
Unser Haus ist leer. Keiner da. Nicht mal eines der Kinder. Rätselhaft. Was nun? Direkt wieder ins Krankenhaus? Es klingelt. Das Telefon. Gleich wird sich alles aufklären. Pustekuchen. Es ist meine Mutter. Sie will ein bisschen plaudern. Hören, wie es ihrem Mann geht.
»Mama, ich bin in Hektik. Keine Ahnung, wo Papa ist. Christoph ist ohne mich zum Flughafen und die Kinder sind anscheinend ausgewandert. Mit anderen Worten: Ich habe keine Zeit. Ich melde mich morgen.«
Da macht man einen Nachmittag mal was für sich selbst, und schon bricht das gesamte, sorgfältig errichtete, häusliche Konstrukt in sich zusammen. Fair ist was anderes. Ich brauche eine Zigarette. Ganz schnell eine Zigarette. Ich bin ein schwacher Mensch. Nur, wo sind die Zigaretten? Im Abendtäschchen vom Ball müssten noch welche sein. Ich renne ins Schlafzimmer, schnappe das Täschchen und renne wieder raus zum Auto. Ich starte den Motor und überlege, während ich aus der Einfahrt stoße, wohin ich am besten fahre. Ins Krankenhaus oder zum Flughafen? Oder sollte ich einfach zu Hause bleiben und warten, ob sich die Dinge von selbst klären? Gut, Annabelle muss ich wohl oder übel abholen, sie kann ja schlecht nach Hause laufen. Schließlich habe ich ihr Auto. Aber so sediert wie die ist, wird sie gar nicht merken, wenn ich vorher noch schnell einen Schlenker über den Flughafen mache und versuche, Christoph vor dem Abflug noch zu erwischen. Immerhin läuft er seinen ersten Marathon, und da gehört es sich ja schon, wenigstens viel Glück zu wünschen. Was für ein grauenvoller Schlamassel das alles. Ich probiere wieder, Christoph zu erreichen. Der wird ja nicht ohne Handy verreisen. Niemand meldet sich. Nicht mal die Mailbox ist an. Hat die beleidigte Leberwurst wahrscheinlich
ausgestellt. Na, der wird Augen machen, wenn ich gleich am Flughafen auftauche.
Jetzt rauche ich eine. Einfach so. Heimlich. Schließlich bin ich Nichtraucherin, da kann man ja mal eine rauchen. Ich lasse die Fensterscheibe ein gutes Stück runter, nicht, dass Annabelle nachher noch merkt, dass ich in ihrem geliebten Auto gepafft habe. Nach zwei Zügen, die, auch wenn das nicht schön ist, mir sehr gut getan haben – dieses leichte Schwindelgefühl, wenn man sonst nicht raucht, mag ich einfach –, fliegt ein bisschen Glut bis auf den Beifahrersitz. Annabelle hat leider keine Ledersitze, sondern Stoffpolster. Ich versuche dieses miese kleine Glutstückchen zu erwischen, aber es war schneller als ich und hat ein winziges Löchlein in das Polster gebrannt. Ich werde alles abstreiten. Immerhin bin ich Nichtraucherin. Da kann ich ja nicht die Schuldige sein, wenn es um Brandlöcher geht. Ich werfe die Zigarette aus dem Fenster (ich weiß, das ist eklig, aber Annabelle hat keinen Ascher im Auto und selbst wenn, könnte ich ihn ja nicht benutzen, da ich ja nicht rauche).
Nachdem die Zigarette weg ist, öffne ich trotz der wenig angenehmen Außentemperaturen alle Fenster und lüfte gut durch.
Zum Glück finde ich gleich einen Parkplatz und auch den Check-in-Schalter.
»Ich suche meinen Mann«, sage ich der Schaltertante, »der muss eingecheckt haben nach New York. Für die Maschine um zehn.«
»Möglich«, antwortet die mir nur.
»Können Sie mal nachschauen?«, frage ich so freundlich wie möglich und bin sicher, dass die Frau denkt, ich sei eine arme Irre. Immerhin habe ich noch meine legeren
Sportsachen vom Rebirthing an, trage dazu aber das glamouröse Abendtäschchen von Iris. Ich gebe zu, eine seltsame Kombination.
»Das darf ich Ihnen leider nicht sagen, Sie wissen schon, Datenschutz und so«, klärt mich die Lufthansa-Frau auf. »Sind Sie denn sicher, dass Ihr Mann mit Lufthansa fliegt?«, fragt sie nochmal nach. Wenn sie so fragt, bin ich nicht wirklich sicher. »Ich weiß, dass er um zehn fliegt. Gibt’s da eine Lufthansa-Maschine?«
»Ja, die gibt es«, sagt sie freundlich. Ich muss bestimmt zehn Minuten bitten und betteln, dann schaut sie endlich nach und gibt mir die erlösende Antwort: »So. Also auf dieser Maschine hat ein Mann mit dem Namen eingecheckt, aber, falls Sie jemand fragt, ich habe Ihnen das nicht gesagt. Gate B zweiundfünfzig, vielleicht erwischen sie ihn noch an der Kontrolle.«
Es gibt ja immer diese wunderbaren Filme, wo Frauen, die es sich anders überlegt haben, sich in letzter Minute besonnen haben, lange Gänge in Flughäfen entlangrennen, meistens auf sehr unbequemen Schuhen, dann an
Weitere Kostenlose Bücher