Lieblingsstücke
Scheiben klopfen und ihr Schicksal nochmal rumreißen. In der Realität sind die Möglichkeiten allerdings sehr eingeschränkt. Der Frankfurter Flughafen macht einem solche romantischen Aktionen etwas schwer. Um nicht zu sagen – unmöglich. Man kann, selbst wenn man will, nicht bis ans Gate. Also haste ich zur Sicherheitskontrolle und hoffe, dass Christoph noch nicht durch ist. Eine Stunde vor Abflug gebe ich auf. Er muss längst durch sein. Schade. Mein Versuch, die Sicherheitskontrolleure zu beschwatzen scheitert kläglich.
»Und wenn Sie der Kaiser von China wärn, hier geht’s nur mit em Ticket dörsch!«, wimmelt man mich ab.
Es ist gut zu wissen, wann man aufgeben sollte. Ich gehe zurück in Richtung Parkhaus, und als ich das Abendtäschchen aufmache, um nach meinem Parkhausticket zu suchen, fällt mein Blick auf meinen New-York-Gutschein. Ich schaue ihn mir genauer an. »Gutschein für einen Business-Class-Lufthansa-Flug Frankfurt–New York für eine Person.« In diesem Moment habe ich eine fabelhafte Idee. Hat nicht Sabine zu mir gesagt, sie könne gar nicht verstehen, dass ich Christoph nicht begleite? Warum fliege ich nicht einfach hinterher und überrasche ihn? Ich bin begeistert von meinem eigenen Geistesblitz und mache kehrt, um zurück zum Schalter zu laufen. Da ich Überraschungen liebe, ist schon der Gedanke an Christophs Gesicht, wenn ich ihn im Ziel erwarte und beklatsche, einfach grandios. Meinen Vater werde ich schon überreden können, nach den Kindern zu gucken. Die Frau am Schalter ist ein bisschen überrascht, mich so schnell wiederzusehen. Ich erkläre die Lage, und sie prüft meine Unterlagen.
»Das wird kompliziert!«, sagt sie nur.
»Wäre denn, rein theoretisch, morgen früh oder heute Nacht noch was frei?«, frage ich. Sie tippt auf ihrem Computer rum.
»Das wird nicht einfach!«, wiederholt sie ihre Bedenken.
»Aber eine Frau wie Sie kann das doch schaffen«, schleime ich ein wenig rum.
»Sie haben Glück, dass es ein Business-Voucher ist«, sagt sie, »da ist es vielleicht noch möglich.« Und tatsächlich: sie findet einen Platz für mich. »Morgen ganz früh, sechs Uhr dreißig hätte ich noch einen Sitzplatz.«
Lustig gesagt. Gerade so, als gäbe es auch Stehplätze nach Amerika.
»Wann wollen Sie zurück?«, fragt sie dann.
»Am liebsten mit derselben Maschine, mit der auch mein Mann zurückfliegt. Ich glaube Montagmorgen.«
»Okay«, sagt sie und tippt erneut auf ihre Tastatur ein. »Natürlich darf ich Ihnen auch nicht sagen, wann der zurückfliegt«, zwinkert sie mir zu.
»Natürlich nicht!«, sage ich sehr ernst und grinse sie dann an. »Danke! Echt nett«, sage ich noch.
Sie reicht mir mein Ticket und bittet mich, zwei Stunden vor Abflug einzuchecken. Ich könnte sie küssen.
Jetzt heißt es Tempo, Tempo. Ich muss zu Hause alles organisieren und natürlich noch packen. Während ich vom Flughafen nach Hause fahre, freue ich mich. New York. Wie aufregend. Ich bin so fasziniert von meinen Reiseplänen, dass ich, erst kurz bevor ich zu Hause ankomme, bemerke, dass ich ja was vergessen habe. Um genauer zu sein, jemanden vergessen habe. Annabelle. Ich rufe meinen Vater an, bin froh, dass sich endlich jemand meldet, und erkläre ihm, so schnell wie möglich, die Lage.
»Entspann dich«, sagt er ganz gelassen, »ich habe alles im Griff. Die Kinder sind im Bett.«
Wie beruhigend. Das ist doch mal eine wirklich gute Nachricht. Ich verzichte darauf nachzufragen, was da eigentlich heute Nachmittag und am frühen Abend los war, und bedanke mich einfach nur. Alles andere kann auch später geklärt werden.
Annabelle ist ziemlich angesäuert, und dabei hat sie noch nicht mal das niedliche kleine Brandloch auf ihrem Autopolster gesehen.
»Wolltest du mich hier verrotten lassen?«, giftet sie gleich zur Begrüßung los.
»Ach, Annabelle«, antworte ich so ruhig wie möglich,
»man hat mir gesagt, dass du ein paar Stunden schlafen sollst. Die haben mich quasi weggeschickt.« Mal wieder eine klitzekleine Lüge. Aber das Valium scheint gewirkt zu haben. Sie hat keine Ahnung, was in den letzten Stunden los war, und erinnert sich auch nicht daran, dass mich Mett-Mischi nur sehr widerwillig hat ziehen lassen. Glück gehabt.
Sie besteht darauf, selbst zu fahren. »Es geht mir blendend.«
Ich lasse mich, so schnell wie möglich, auf den Beifahrersitz plumpsen, damit sie das Brandloch nicht entdeckt. Es wäre sicher nicht gut, wenn sie sich gleich wieder aufregt. Netterweise
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