Lieblingsstücke
ob ich es bei Christoph versuchen soll. Aber wenn ich anrufe, ist meine Überraschung futsch. Ich nutze die Zeit, um zu Hause anzurufen. Es ist kurz vor vier deutscher Zeit, und ich erwische meinen Vater.
»Gut, dass du anrufst!«, begrüßt er mich. »Dieser Lümmert hat schon wieder angerufen und gesagt, er sei es bald leid, dir so hinterher zu telefonieren. Ich gebe dir jetzt seine Nummer, und du rufst ihn an. Das ist ja langsam peinlich, das Ganze. Ruf an, dann hast du es hinter dir. Oder sag mir, was los ist.«
Ich notiere mir lieber die Nummer und verspreche, mich bei dem Mann zu melden.
»Den Kindern geht’s gut, die sind oben. Soll ich sie mal rufen?«, redet er weiter.
»Bitte, ja. Ruf sie doch mal!«, antworte ich. Als Erstes habe ich Claudia am Telefon. Wie so oft hält sie sich nicht mit langen Vorreden auf.
»Also das ist echt megagemein. Du bist nach New York ohne mich. Da musst du mir aber wenigstens was mitbringen.«
Was für ein schöner Satz. Megagemein und wenigstens was mitbringen. Ich sollte eigentlich direkt auflegen. Natürlich mache ich das nicht, und so bleibt mir die folgende Bestellliste nicht erspart:
»Ich will was von Abercrombie. Tops und Kapuzenpullis und den Schlafanzug mit der Schleifenhose. Dann was von Victoria Secret.« Als sie kurz Luft holt, nutze ich die Pause und sage: »Stopp. Ich weiß nicht, ob ich dafür Zeit habe. Und ob ich überhaupt Lust habe, für jemanden wie dich, der nicht mal fragt, wie es mir geht, einkaufen zu gehen, weiß ich auch nicht. Gib mir bitte mal den Mark.«
Sie schnaubt wütend und kreischt: »Zwerg, komm los, die will was von dir.«
In einem Satz zwei Leute beleidigen, das muss man erst mal schaffen. Mark ist besser gelaunt.
»Wie war das Flugzeug? Warst du im Cockpit?«, das sind die Sachen, die ihn interessieren. Anschließend kommt mein Vater nochmal an den Apparat.
»Ich bring der schon Manieren bei an diesem Wochenende, sorge dich nicht, Andrea. Und denke daran: Der hundertprozentige Amerikaner ist ein neunzigprozentiger Idiot.«
»Ist das von Busch?«, will ich wissen.
»Nein, von Shaw, aber es stimmt«, schließt mein Vater und wünscht mir ein schönes Wochenende.
Ich sage brav »Gleichfalls«, denke dabei an meine Tochter und habe das feine, aber auch unangenehme Gefühl, einem Vulkanausbruch entkommen zu sein und dafür einen
anderen, nämlich meinen Vater, in die heiße Lava geschubst zu haben.
»Und denk dran, lass dich nicht ansprechen!«, schiebt er noch hinterher. Ich muss lachen. Das sagt ausgerechnet der Mann, der schon die halbe Nachbarschaft aufgerissen hat.
Kaum habe ich aufgelegt, ist es auch schon passiert. Ich werde angesprochen:
»Need a taxi?«, fragt ein kleiner Mann, der irgendwie komisch auf meine Handtasche guckt. Ich umklammere sie noch ein wenig fester und sage: »No, thank you.« Ich habe schon richtige Landpomeranzenparanoia. Diese latente Panik, dass man, sobald man einen Fuß in die große, natürlich schmutzige Stadt setzt, garantiert ausgeraubt wird oder dass zumindest jemand versucht, einen zu überfallen. Der kleine Mann macht keinerlei Anstalten, etwas in dieser Art zu tun. Wäre hier am Flughafen ja nun auch wirklich gewagt.
Ich hole mir einen neuen Kaffee und setze mich auf eine Bank. Die Shuttle-Treffpunkt-Bank. Da piepst mein Handy. Eine SMS . Lauter kryptisches Zeug. Bestellnummern – wie sich am Ende der SMS herausstellt. Abercrombie – Bestellnummern. Wie emsig meine Tochter sein kann. Und wie flott. Denkt die im Ernst, ich würde mit dieser Nummernliste ins Geschäft eilen, um Madam ihre Wünsche zu erfüllen! Ich glaube ja. Kurz überlege ich, ob ich die SMS löschen soll, entscheide mich dann aber dagegen. Vielleicht kann ich ja, sollte ich einen guten Tag haben, ein bis zwei Nummern abarbeiten. Vielleicht! Wenn sie beim nächsten Telefonat freundlich ist, werde ich das wohlwollend in Betracht ziehen. Wenn nicht – Pech gehabt.
In den nächsten zehn Minuten piepst es in unregelmäßigen
Abständen immer wieder. Eine SMS nach der anderen. Wenn Nummer soundsoviel nicht da ist, dann Nummer XYZ , aber nicht in Grün, und so weiter und so fort. Dieses Kind denkt, ich wäre sein personal Shopper.
»Are you waiting for the shuttle?«, unterbricht ein großer, breitschultriger, dunkelhäutiger Mann meine Gedanken.
»Yes!«, freue ich mich, dass es endlich losgeht.
»Come on, the bus is outside«, dirigiert er mich nach draußen.
Nach dem exklusiven Flug ist der Shuttlebus eine
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