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Lieblingsstücke

Lieblingsstücke

Titel: Lieblingsstücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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streng schaut –, erlangt er seine Sprache wieder.
    »What are you here for?«, fragt er in einem Ton, als wäre ich eine mehrfach Vorbestrafte. Ich stammle was vom Marathon und er mustert mich von oben bis unten.
    »Are you a runner?«, drückt er sein offensichtliches Erstaunen dann auch aus.
    »What do you guess?«, versuche ich, ihn ein ganz klein bisschen aus der Reserve zu locken. Keine gute Idee.
    »This is not a game show! Do you run the marathon?« Ich sage einfach ja und hoffe, dass der zu Hause freundlicher ist. Wahrscheinlich schon, denn er kann seine Aggressionen und seine ganze Stoffeligkeit ja hier perfekt ausleben und wird für diese Art auch noch bezahlt. Na ja, sonst sind die Amis bestimmt freundlicher. Schlimmer kann es ja kaum noch werden. Er winkt mich durch. Kein »Viel Glück beim Lauf« oder so. Eine kleine Nettigkeit hätte ihn doch nichts gekostet.
    Die nächste Überraschung erwartet mich am Gepäckband.
    Mein Koffer ist weg. Also nicht weg, sondern, wie sich nach längerer Diskussion mit einer Flughafenmitarbeiterin herausstellt, auf dem Weg nach Hawaii. Ich kann meinen Koffer sehr gut verstehen, bin aber dennoch ziemlich bedient. Ich habe den großen Wunsch, zu duschen und vor allem was Frisches anzuziehen. Das kann ich mir jetzt auf jeden Fall erst mal abschminken. Egal. Nichts wie ins Hotel, duschen und dann weitersehen. Die Flughafenfrau, Jenny, hat mir versprochen, dass mein Koffer, wenn er von Hawaii wieder zurück ist, mir sofort ins Hotel nachgeschickt wird. Die Frage, was ich so lange anziehen soll, hat sie allerdings nicht besonders interessiert.
    »Your suitcase will be in your hotel before you even get there, honey!«, hat sie getönt.
    Honey hin, honey her – so wirklich glauben kann ich ihr das nicht. Hawaii ist nun mal kein Stadtteil von New York, und auch wenn mein Koffer fliegt und ich Shuttlebus fahre, habe ich doch erhebliche Zweifel, dass er mich schlagen kann und vor mir ankommt.
     
    Mittlerweile ist es in New York neun Uhr dreißig, also genau sechs Stunden früher als in Deutschland. Diese Umrechnerei ist für mich ein Graus. Ich stelle meine Handyuhrzeit um und lasse meine Armbanduhr auf deutscher Zeit, damit ich, sollte ich mal zu Hause anrufen, niemanden mitten in der Nacht rausklingele. Nach all dem Affenzirkus brauche ich erst mal einen Kaffee. Mit dem Becher in der Hand begebe ich mich auf die Suche nach meinem Shuttlebus. Es dauert ein bisschen, bis ich kapiert habe, dass ich zuerst irgendwo anrufen muss. Merkwürdiges Prozedere. Mit meinem Kaffeebecher in der einen Hand, meiner Handtasche über der Schulter, probiere ich die angegebene Nummer. Just in dem Moment, als eine Stimme antwortet, mache ich eine blöde Bewegung und schütte mir den Latte, fat free milk, über meine Jacke und meinen Pulli. Mein Aufschrei erschreckt den Mann am Telefon so sehr, dass er auflegt. Wahrscheinlich hat er gedacht, eine Irre sei am Telefon. Ich bin über und über voll mit dem Latte. Gut, dass ich den extra großen Becher genommen habe. Das habe ich nun von meiner Gier. Immer das Größte wollen!
    Natürlich habe ich in meiner Handtasche die tollsten Sachen, aber leider kein Papiertaschentuch oder, wie normale Mütter, eine Packung Feuchttücher. Nur meinen schönen neuen Schlafanzug. Mein Pulli klebt mir am Körper, und meine sandfarbene Jacke sieht aus wie gebatikt. Ich gehe zur Toilette und ziehe mich um. Mit der Schmuddeljacke muss ich wohl leben, aber diesen klatschnassen, lauwarmen Pulli muss ich ausziehen. Wenn ich so raus, ins kalte New York, stolpere, werde ich mir bestimmt sofort eine Lungenentzündung holen. Zum Glück bin ich raffgierig und habe den Schlafanzug mitgenommen. Und zum Glück sieht der Schlafanzug, jedenfalls das Oberteil, nur
ein ganz klein bisschen wie ein Schlafanzug aus. Richtig schick ist natürlich etwas anderes. Vor allem der Schriftzug »Business Class«, quer über meine Brust, hat etwas Peinliches. Wenn ich eine Frau mit so einem Teil sehen würde, ich würde mich kaputtlachen. Zumindest ist das Oberteil trocken und sauber.
    Ich rufe erneut bei der Nummer an.
    »Did you already call a few minutes ago?«, fragt der Mann.
    »No!«, sage ich und probiere, in dieses kleine Wort einen Hauch von Verwunderung zu legen. Ich erkundige mich nach meinem Shuttlebus. Er ist weg. Der nächste fährt in einer guten Stunde. Na toll. Das auch noch. Aber ich füge mich in mein Schicksal. Auf diese eine Stunde kommt es nun auch nicht mehr an. Ich überlege,

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