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Lieblose Legenden

Lieblose Legenden

Titel: Lieblose Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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werden. Aber das ist
nicht jedermanns Sache. Gemeingültige Regeln gibt es für solche Fälle nicht,
und das ist gut so: wer den Mut hat, sich eine Aufgabe zu stellen, dem wird es
Genugtuung bereiten, auf die ihm eigene Art damit fertig zu werden. Ein kurzer
Bericht der Probe sei hier gegeben: Gaston streift mit den Fingerspitzen Ärmel
und Manschetten hoch, vollführt mit den Handgelenken die schlenkernde
Dreh-Bewegung eines Zauberkünstlers, hebt den Deckel vom Topf, streift sanft
mit dem Handrücken über die brodelnde Fläche, zieht die Hand zurück, betrachtet
die Rückenfläche, runzelt die schmale Stirn, führt die Hand zur Wange, streift
langsam mit dem Handrücken darüber, so daß kleine Breiklößchen in den Stoppeln
des Backenbartes hängen bleiben, zieht einen Taschenspiegel aus der Weste und
betrachtet Bart und Wange. Dann schüttelt er den Kopf, zieht sich die Jacke
aus, knöpft die Weste auf, krempelt die Ärmel hoch und bindet sich die Schürze
vor.
    Wir entfernen uns. Wir möchten nicht
stören, wenn er sein Geheimnis unter der Schürze hervorzieht. Wir wissen auch
nicht, ob er die anderen Köche hinausschickt, um ihnen das vielleicht allzu
simple Kolumbus-Ei seiner Weltgeltung nicht offenbaren zu müssen. Jedenfalls
stehen sie, gleich willigen Jüngern, neben ihm, wenn wir die Küche wieder
betreten.
    Der Brei ist um einige Nuancen dunkler
geworden. Dahin, ach, dahin ist der altweiße, lirum-larum-löffel-stielverheißende Ton, die zarthäutige Oberfläche des Kindergerichts ist weggeblasen. Sie ist
einem dunklen Ölspiegel gewichen, auf welchem gestampfter kaukasischer Zimt
liegt, wie Blätter auf der Pfütze im herbstlich-verlassenen Park. Gaston rührt
einmal um und gibt uns zu kosten. Seltsam schmeckt es, gewiß. Ungewohnt. Ein
Aroma, dessen Reiz vielleicht ein wenig durch mangelnde Kontrollierbarkeit
gemindert wird. Ein zarter aber dauerhafter Geschmackston ist ihm zu eigen, ein kleiner Hautgout möchte man beinahe sagen, wäre dieser
Begriff in Zusammenhang mit Brei nicht widersinnig. Aber verdorben? Nein. Noch
nicht.
    Was nun?
    Nun, — man hat vorgesorgt, in weiser
Ahnung, daß unser Gaston wohl die Richtung anzugeben vermöchte, nicht aber den
Weg bis ans Ziel zu führen. Man hat eine langwierige und nicht unbeschwerliche
Korrespondenz geführt, — in den fernen Osten, und zwar im Wong-Dialekt der chinesischen Südprovinzen, in welchen die großen Reedereien dieses wahrhaft
unermeßlichen Reiches liegen, (und nicht im Norden, wie manch einer
irrigerweise annimmt.) Es geht um den chinesischen Schiffskoch, welchen
zuzuziehen es nunmehr gilt.
    Er ist bereits unseres Winkes gewärtig.
Sein Familienname ist Lü , sein Vorname jedoch
seltsamerweise Marcus, denn er ist christlich getauft, in einer inmitten
wogender Reisstauden versteckten, dennoch sehr aktiven Missions-Station an den
Gestaden des ungeheuerlichen, schlammgelb dahinfließenden Yang-Tse-Stromes .
Im Laufe seines wechselvollen Lebens hat er auf manchem Schiff gedient, auf
schaukeligen, zierlichen Dinghis sowie auf klobigen
Barken. Er hat manchen bunten Papagei in Hafenschenken erschachert, manchen
strohigen Schiffszwieback gebacken, Dörrfleisch gedörrt, schmale Heringe
gesalzen und Sardinen fein säuberlich in Büchsen gelegt, hat in fernöstlichen
Hoheitsgewässern manchem einäugigen Piraten gegenübergestanden und weiß von
nackten, schweißtriefenden Faustkämpfen auf berstenden Schiffsbrettern unter
unbarmherzigen Sonnen zu berichten, — alles mit gleichmütig froher Miene, die
ein Spiegel seiner rechtschaffenen und kindlich-demütigen Seele ist. Sein
Traum, eine Weiß- und Feinwäscherei in Cincinnati zu eröffnen, steht kurz vor
der Verwirklichung. Weise und zielbewußt, hat er sich vor Ausschweifung und
Familiengründung zurückgehalten und auf diese Art manch blanken Yen zurücklegen
können. Nur wenige Jahre noch gedenkt er zu dienen, und zwar am rostenden
Schiffsherd der Handelsfregatte » Tschung-Minh « einer
ehemaligen Lust-Yacht, erbaut kurz vor den Greueln des Boxeraufstandes, und
zwar für den Kaiser von China und seine blütenmündige, elfenbeinhändige
Gemahlin, die damit an schilfbewachsenen Ufern und Korallenriffen vorüber zu
ihren berühmten Inselgärten fuhren, wo sie — es war die unvergeßliche Zeit der
chinesischen Lustbarkeiten — von Sklavinnen gefächelt, in Grotten von grüner
Jade ihren grünen Tee nahmen. Dies also ist unser neuer Mann.
    Aber, um es kurz zu sagen: es gelingt
ihm wohl, den Brei

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