Lieblose Legenden
weibliche beim Kosenamen nannte, in der Hoffnung, durch dieses und
ähnliches urbanes Gebaren den Weltmann auch in uns wachzurufen, mit dem er
sodann in lästerlichem Spießgesellentum über die — wie er es nannte — zu gerade
gewachsene Familieneiche herziehen könne. Seitdem ist uns Gaston, schon damals
ein Mann von großer gastronomischer Weitsicht und entsprechendem körperlichen
Umfang, in lebhafter, öliger Erinnerung geblieben. Man selbst hat (übrigens
trotz aufschlußreichen anschließenden Varietebesuches) den Boden bürgerlicher
Solidität nicht verlassen, — oder ist zumindest, nach kurzer heimlicher
Ausschweifung, kleinlaut und geläutert auf diesen Boden zurückgekehrt — , der
Onkel dagegen hat sich bald darauf Hals über Kopf in die Ohrringe einer
brasilianischen Abenteuerin verstrickt und ist im bürgerlichen Sinne nicht mehr
existent, — Gaston jedoch webt, wie zu erwarten war, an seinem vorgeschriebenen
Lebensmuster weiter: potent, despotisch, und durchaus nicht ohne die Grillen
eines Mannes internationaler Konsequenz und Bedeutung ragt er, massiv wie ein
Monument der Ehrwürde, aus einer wachsenden Enkelschar, in seinem Salon, wo die
gilbenden, hand-signierten Photographien der großen, schnurr- und
backenbärtigen Staatsmänner hängen, die sich, triefend und schnalzend, mit
unter dem Doppelkinn befestigter Serviette an seinen Angouillettes au brisard rôti aufs
köstlichste ergötzt und sich vielleicht für immerdar ein kleines, stichelndes
Gallenleiden zugezogen haben.
Denn Gaston hat es mit dem öl! Es ist
sein Element und sein Geheimnis, das er wohl und weislich hütet, hinter seiner
Meisterschürze, auf welcher die Spuren der Tatarensteaks von Jahrzehnten sich
abheben, in kühnen, strotzenden Spritzflecken, wie die Handschrift eines
Herrschers unter einem Todesurteil.
Übrigens bedeutet der Name »Gaston«,
nach neuerer Forschung, auf altwallonisch »Öl«. Nur — und das muß ich hier
leider betonen — handelt es sich bei diesem nicht um das herrliche
zitronenduftende Olivenöl, diese von Apollon und Demeter gesegnete Ernte, Frucht silbergrüner, brisendurchwehter Haine von Argolis und Delphi, sondern um schwerflüssiges
niederflämisches öl, das aus den stehenden Gewässern dunkellebiger,
aufrührerischer Städte wie Brügge und Gent gewonnen wird, und, wie manche
spitzenklöppelnde Beghine aus alten Chroniken zu
berichten weiß, sogar Rückstände aus irdischen Resten der düsteren Grafen von
Flandern enthält. Es ist gleichsam der Abfall der Niederlande. Dies nur eine
kleine Warnung für den sensiblen Feinschmecker. Der draufgängerische Gourmand
wird ihrer nicht achten.
Ein kurzes Wort noch über Gastons
Äußeres: eine stattliche, bombastische Erscheinung; Menschen mit heraldisch-historischer
Phantasie — deren es leider immer weniger gibt — möchten ihn gar einem
alternden nordromanischen Tambourmajor vergleichen — dies jedoch nur vor seiner
Mahlzeit. Nach seiner Mahlzeit gleicht er eher einer der liegenden Figuren auf Brueghels Gemälde der fetten Küche: ein Vergleich übrigens,
an dem Gaston selbst sich gern und oft delektiert: dann fühlt er sich als einer
der Großen seines Vaterlandes, der von einem ebenbürtigen Meister vorausgeahnt,
sozusagen entworfen ist.
Man holt Gaston vom Bahnhof ab .. Er entsteigt dem Kurswagen Oostende — St. Pölten — Nisch (mit Anschluß über Cszsewsczs nach Sofija ). Er trägt einen hölzernen Koffer, den
ihm seine Frau sorgfältig mit einem Seil verschnürt hat, einen braunweiß
karierten Anzug, hellgraue wildlederne Schuhe mit feinem, in glitschigen Küchen
erworbenen Speckrand, einen Strauß Gewürznelken im Knopfloch, ein
Salbei-getränktes Seidentaschentuch in der Brusttasche, Rosmarin und öl in
Haupthaar und Schnurrbart, welch beide Requisiten er in der Mitte peinlich
genau gescheitelt trägt, wie ein Sportsmann der Jahrhundertwende auf einem Bild
des göttlichen Zöllners. Im Taxi zwischen Bahnhof und Küche erläutern wir ihm
die Lage in Stichworten, denn wir wissen, daß hinter der Gastronomenstirn das
Adjektiv nicht Platz findet, von der Metapher — die wir so lieben — ganz zu
schweigen. Gaston nickt ein paarmal mit geziemendem Ernst: handelt es sich doch
für ihn um eine Konsultation, wie das Berufsleben des Berufenen sie mit sich
bringt.
Die Begrüßung der drei Köche ist kühl
aber höflich. Sie sollte wiederum durch ein Scherzwort — am besten ein
naheliegendes aus kulinarischen Bereichen — gelockert
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