Lieblose Legenden
in einen Zustand zweifelhafter Genießbarkeit zu versetzen:
steinhart, so daß wir nur mit Hammer und Meißel kristallförmige Brocken zu
lösen vermögen, welche freilich im Mund sogleich schmelzen wie türkischer Honig
und schmecken wie süßer Rindertalg, — aber verdorben ist der Brei noch nicht.
Und so greifen wir denn, wie wir annehmen, zum Äußersten: der Koch des
britischen Schatzkanzlers muß her.
Zunächst ein Wort über den
Schatzkanzler: er ist ein ruhiger, überlegter Oxford-Absolvent, der sein
seelisches Equilibrium in jeder Lebenslage zu wahren
weiß, ohne sich dieser Gabe in Gesellschaft jemals zu rühmen. Der Tradition
zutiefst verwurzelt, steht er seinen Mann bei der Fuchsjagd, beim Cricket und im Parlament; unter seiner schmalen, in
jahrelanger Selbstbeherrschung steif gewordenen Oberlippe hat er seine Pfeifen
und seine Redensarten, die er, der Gelegenheit gemäß, ein- und absetzt.
Freilich: seinen Koch leiht er ungern
her, aber er ist zu beherrscht, um etwa Mißmut aufkommen zu lassen, geschweige
denn ihn sich einzugestehen oder gar ihn zu zeigen. Er hat es auch damals nicht
getan — und nur vertraute Freunde im Club erkannten seinen Unmut an einem
senkrechten Stirnfältchen — , als ein Geheiß der
Königin Viktoria ihn zu diesem Opfer zwang. Allerdings waren die Umstände
damals um einiges anders als in unserem Falle. Die verehrte Königin konnte,
wegen einer kleinen Unpäßlichkeit, zu welcher sich auch noch ein Radnabenbruch
gesellte, ihre Kutschenreise durch die westlichen Grafschaften nicht fortsetzen
und mußte in jener fachwerkigen , windschiefen,
holzknarrenden Tudorschenke übernachten, die noch heute, in ihrer originalen
Fassung von 1498, das Ausflugsziel ehrfürchtiger Monarchisten ist: denn einer
der tragenden Balken des Dachgeschosses gehörte einst zum Flaggschiff Jakobs
des Ersten: eine leutselige Stiftung der großherzigen Frau als Dank für
unvorhergesehene Mühe. Man sagt jedoch, daß ihr Geschenk um einiges großzügiger
ausgefallen wäre, hätte der Wirt ihr auch eine Mahlzeit servieren können.
Dieser aber, einer jener mürrischen knurrigen Rauh-Beine und -Bauze mit einem Herzen voller geheimer Sonne, kurz, einer
jener Typen, deren es so viele gibt — wenn auch nicht im Leben — hätte der
Herrscherin nichts vorzusetzen vermocht als ein Welsh rarebit , da er nämlich, ein ehemaliger Sergeant bei
den Royal Füsiliers, einen Arm auf dem Exerzierplatz hatte lassen müssen und im
Kochen diesem Umstand entsprechend behindert war. Die Königin indessen, deren
Abneigungen gegen Käse ja inzwischen sprichwörtlich geworden ist, war nicht
gewillt, mit dieser Speise vorlieb zu nehmen, und so wandte man sich an den
Schatzkanzler, — damals ein fünfzigjähriger vielversprechender Parlamentarier —
dessen Landsitz keine sechs Meilen entfernt lag. Der Koch kam und bereitete der
Königin einen Christmas-pudding , der ihm den
Hosenbandorden mit Stern eintrug, sowie einen — freilich nicht erblichen — Adelstitel.
Soweit diese Begebenheit, welche mir, in solchem Zusammenhang, erwähnenswert
erschien. Demjenigen Leser, welchem meine Schilderung nicht ausführlich genug
ist, empfehle ich die Lektüre von Dickens, in dessen Werk diese Anekdote zwar
nicht zu finden ist, der aber die Auslassung durch Vorzüge auf anderen Gebieten
wettmacht.
Wir wissen, daß sich der Schatzkanzler
unserem kleinen Gesuch nicht versagen kann, ohne bei der europäischen Jugend
wesentlich von seinem ohnehin schon wankenden Nimbus einzubüßen. Seit über
einem halben Jahrhundert schon spricht er von Völkerverständigung, ja, er hat
dieses schöne Wort erfunden. Nun, — wir nehmen ihn bei diesem Wort.
Und der Koch kommt, in seinem Gefährt
von 1904, welches aber immer noch so läuft, als sei es von 1912. Er heißt Sir
Edward, trägt einen steifen Hut, gestreifte Hosen, Cutaway, eine graue Weste
und einen Feldstecher um die Schulter. Denn er hat unterwegs Singvögel
beobachtet, sein Steckenpferd, auch bei Regen, Schnee, Hagel oder Nebel:
Menschen seines Schlages sind unempfindlich gegen die Widrigkeiten des Wetters
und der Zeit. Gemessenen Schrittes tritt er ein, begrüßt die anderen Köche mit
kaum hörbarer — aber auch wieder nicht überhörbarer — Herablassung, geht zum
Brei, kostet ihn, lobt mit kühler Höflichkeit den augenblicklichen Stand der
Verderbnis und meint, man sei eben doch in vielen Dingen auf dem Kontinent
weiter als auf dem Inselreich. Keiner widerspricht, denn er hat
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