Lieblose Legenden
den Metallsaiten entlangziehend ,
abwärts rutschen, vorsichtig, um die Risse nicht zu verlängern, und werde durch
das Loch der Rose in den Körper schlüpfen.
Es kommt mir der Umstand zugute, daß
die geschnitzte Füllung der Rose, die ihr ehemals — lang vor meiner Zeit — das
Aussehen einer gotischen Kirchenrosette gab, verschwunden ist. Die Zeit hat es
gefressen, hat übrigens auch an den Rändern genagt, aus der Intarsie ein wenig
Perlmutter und Ebenholz geknabbert. Dafür hat sie das Holz getrocknet und
gedunkelt und damit den Klang veredelt.
Ich werde freilich darauf achten
müssen, daß ich schon außen beim Einstieg die körperliche Haltung annehme, die
ich innen beim Liegen einzunehmen wünsche, da der Resonanzraum es mir nicht
gestattet, mich in ihm wesentlich zu bewegen, geschweige denn zu wenden. Ich
werde daher rücklings rutschen, Kopf vorab und in die Rose — ein kleiner Akt
akrobatischer Gelenkigkeit, den ich bereits ein wenig geprobt habe — , werde Rumpf und Beine nachziehen und so zwischen Boden
und Dach in die Zarge eingleiten. Hier dann werde ich mich einrichten und so zu
betten wissen, daß mein Rückgrat, das ich nie gesehen habe, auf dessen
aufrechte Fähigkeiten ich mich aber schon in mancher heiklen Lage habe
verlassen dürfen, sich dieses eine und damit letzte Mal als Schlange bewährt
und sich den Rundungen der Zarge anpaßt. Habe ich dann die richtige
Ruhestellung gefunden, so werde ich in ihr verharren, ich werde sanft und süß
im Holz liegen, während ich den rechten Arm durch die Rose stecke und die
Saiten von innen anschlage, ad libitum. Es ist nur ein einziger Akkord, mein
Akkord. Auf ihn und nur auf ihn habe ich die Saiten gestimmt. Die anderen
Griffe habe ich vergessen, brauche sie auch nicht, sie würden meine Schläferung
nur behindern. Daher bleibt auch mein linker Arm müßig. Ihn bette ich seitlich
über den Körper, da mir die Enge der Zarge nicht gestattet, ihn entspannt neben
mir zu halten. Auch würden mich vermutlich die verhärteten Leimperlen stören,
die in ungleichen Abständen die Hohlkehle säumen. Sie sind vielleicht nicht
schön, sind aber der Stoff, der ein schönes Gefüge zusammenhält. Auch das
edelste Instrument bedient sich innerer Unfertigkeiten, um ein vollkommenes
Gesicht zu zeigen.
Ich sage: das edelste Instrument. Meine
Gitarre ist ein edles Instrument, ohne Zweifel, aber es gibt edlere
Instrumente. Dieser Gedanke hat mich anfangs ein wenig bekümmert. Das Gehäuse
meiner Schläferung, so dachte ich, hätte eine Laute sein sollen, oder gar ihre
ältere Schwester, die Theorbe . Das sind Instrumente
aus wunderbarem Material, ihre Bäuche sind schwanger mit galanter
Vergangenheit, Atem vom Hofe Karls des Vierten — des nachmaligen Ludwig des
Elften — haftet ihnen an, von Fransenköpfen und Zaddelärmeln ,
unter denen das tödliche Stilett des Musikanten so locker saß wie das Lied in
seiner Kehle. Aber das sind Sentimentalitäten. Was kümmert mich schließlich in
meiner Nacht die Vergangenheit des Raums, in dem ein solch unscheinbarer Akt
wie meine Schläferung sich vollzieht! Hier liege ich, warm und wohlgeborgen,
während draußen die Zeit wie ein sanfter aber unablässiger Wind vorbeirauscht —
die Nacht ist der Zeit bessere Hälfte! — und mich von allem Ballast, den sie
mit sich treibt, ungeschoren läßt. Aus meinem Platz im Holz betrachtet ist
jeder Punkt, Vergangenheit oder Zukunft, von der Ewigkeit gleich weit entfernt,
da soll es nichts geben, was mich schwindlig macht.
Dazu kommt eine praktische Erwägung.
Auch beim Schlaf, wie überall wo es sich letzten Endes um nichts besseres als um eine körperliche Funktion handelt, muß man praktisch
denken. Wie sollte ich im runden Bauch einer Laute liegen, dessen Schwerpunkt
sich je nach meiner Lage verlagert? Sollte ich, wie ein hilfloser Körper im
Eingeweide eines schlingernden Schiffes mich in ihm hin und herwerfen, so daß
meine Griffe von unten in die Saiten Griffe des Zufalls und der Willkür sind?
Nein, eben dem Zufall und der Willkür will ich mich ja durch Schlaf entziehen!
Lieber also zwischen den Hölzern eines weniger edlen Instrumentes eingekeilt
liegen, im Vertrauen darauf, daß die Nacht, die große Ausgleicherin ,
auch diesen, an sich geringen, Adelsunterschied ausgleiche.
Ich hoffe auf eine dunkle Nacht.
Anfangs droht noch der Mond zu scheinen, aber der soll mich nicht erreichen.
Ich kann ihn nicht brauchen, diesen leblosen Gegenstand, der nichts verzaubert,
den —
Weitere Kostenlose Bücher