Lieblose Legenden
Mariella selbst.
»Mariella« rief er, aber seine Stimme war tonlos, so daß es wie ein Seufzer
klang.
»Wie immer, der Letzte«, sagte sic
lächelnd und küßte ihn, »wir warten schon alle auf dich. Übrigens siehst du
aus, als wolltest du dich erst einmal waschen. Aber beeile dich! Das Essen wird
soeben aufgetragen .«
Der Brei auf unserem Herd
Ein Brei steht auf unser
aller Herd. Um ihn so recht kräftig und gründlich zu verderben, bedarf
es vieler Köche. Der erste ist der pausbäckige Koch unserer frühesten Jahre und
somit gar kein wirklicher Koch, sondern vielmehr ein Zuckerbäcker. Noch heute
laboriert der Wackere unter der Vorstellung, daß Safran den Kuchen gel mache, eine Ansicht, mit welcher man es nun einmal
nicht mehr sehr weit bringt, in dieser Zeit. Indessen, unser Freund ist so
wenig belehrbar, wie wir es in der Kindheit waren .
Gleich einem im Ohrenstuhl dahindämmernden Ahnen verbreitet er, auf gewisse
mildverhaltene Weise, ein Fluidum starrköpfiger Unzugänglichkeit; natürlich
nur, wenn wir von Gebieten sprechen, die er ehemals die seinen nennen durfte.
Stumm und vorwurfsvoll, als sei es unsere Schuld, daß die Jahrhunderte
vergehen, deutet er dann auf die, gewiß prächtigen, blankgeschniegelten,
kupferleuchtenden Napfkuchenformen in der Küche des Goethehauses zu Frankfurt.
Nun, so gern man auch diesem stummen Verweis eine innere Beziehung, etwa in
Form einer ewigen Wahrheit, entnehmen möchte, — denn schließlich hat ein jeder
von uns seinen kleinen Biedermeier im Blut und hängt verschämt und innig an den
Zeiten plätzchenbackenden, lampenputzenden Scher- und Licht-verbietenden
Gesindes, — so ist nunmehr doch die Bemerkung am Platz, daß wir in einem
anderen Zeitalter leben, was ja, letzten Endes, auch der Fall ist. Man kleide
diese Bemerkung jedoch in schonende Worte und streue sie beiläufig hin, wie ein
winziges Gewürz zu einem ohnehin schon gelungenen Gericht: wir wollen unseren
guten Kinderkoch nicht kränken. Aber er hört ihn doch, den kleinen Mißton in
unserer glatten Melodie; und mit seinen beiden staubzuckerweißen Händen macht
er eine Geste der Resignation, als könne er uns dann eben nicht helfen. Er kann
es auch nicht. Daß er derjenige ist, welcher der Hilfe bedarf, sollte aus
Gründen der ihm schuldigen Hochachtung nicht erwähnt werden. Er ist für seine
Zeitbedingtheit zur Genüge bestraft, so wie wir für den anfänglichen Glauben,
dies sei der Mann, der unseren Brei verderben könne.
Wir sind also frei, den zweiten Koch
hinzuzuziehen. Dieser ist der Koch des Bischofs von Mozambique. Unser Geheiß
erreicht ihn in Äschwyl am Gurtensee ,
wo er, nach zehn dörrigen Tropenjahren, die auch an
ihm nicht spurlos vorübergegangen sind, einen mehrmonatigen und verdienten
Urlaub verbringt. Äschwyl ist eine wohlgeordnete,
trutzige, schießschartige Stadt, die seit der Schlacht bei Sempach eine gewisse heimatkundliche Bedeutung besitzt und diese Bedeutung wie ein
hübsches Schätzchen hütet. Sie liegt in den Schweizer Jurabergen, unser Koch
ist also Schweizer, wie übrigens auch sein Herr, der Bischof: ein weiser
grundgütiger Diabetiker, der auch das unscheinbarste, nackteste Negerkind wie
seinesgleichen behandelt, und auf diese Weise schönere Bekehrungserfolge zu
buchen hat als mancher funkeläugige, glaubensglühende, kreuz- und kettenschwingende
Kapuzinerpater, der für die bunten Totempfähle und Tabuzeichen nur grimmige,
zerstörerische Verachtung hegt oder ein blindes Auge hat oder gar beides — hegt
und hat. Aber das gehört eigentlich nicht hierher.
Der Koch heißt entweder Kuno oder Kaspar,
— man entscheide sich! — und fühlt sich, im großen ganzen, unter den
allumfassenden, schwarzsamtenen Fittichen seines Herrn und Hirten wohl. Denn es
fällt manches gute, ermunternde Wort für ihn ab, und dazu ein reichlicher Lohn,
freilich mehr nicht. Denn der Bischof lebt streng nach den Regeln der Diät; und
so bedauert es sein Koch manchmal zutiefst, der guten Sache zu dienen, anstatt
vielen guten Sachen. Seine kühnen Jugendpläne von magyarischem Paprikagulasch
und frühserbischem Zwiebelschaschlik hat er in Grieß und Milchreis begraben
müssen; und noch heute träumt er, wenn er, an besonders heißen Tagen, nur mit
kurzem Lendenschurz und Kopfschmuck bekleidet unter einer Dattelpalme
nachmittägliche Siesta hält, von einem wilden Negergericht, in riesigen eisernen
Kesseln zubereitet, einer dunkelschillernden Sauce, gebraut
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