Lieblose Legenden
unter
kannibalischen Beschwörungen, zum Rhythmus der Dschungeltrommeln, vom
maskenstarrenden Medizinmann eigenhändig gewürzt. — Nur wer selbst keinen
Jugendtraum hat begraben müssen, wird Kuno oder Kaspar diese Ausschweifung
verübeln.
Er kommt. Mit dem Fahrrad, denn es
gilt, die Ferien zu genießen, und sei es auch nur im Gewand von Löwenzahn oder
Wiesenschaumkraut am Straßenrand. Die Begrüßung der beiden Köche ist kollegial,
ja beinahe herzlich. Schließlich hat man dieselben Neigungen, dasselbe Ziel im
Leben gewählt. So etwas bindet. Zudem haben wir es bei beiden mit
ausgeglichenen Temperamenten zu tun, demütig-milden Naturen, nicht mit
Virtuosen in lodernder Rivalität oder schwelender Nebenbuhlschaft :
Mozambique ist zwar beinahe so fern wie das Land unserer Kindheit, aber eben in
einer anderen Richtung; man gerät einander nicht ins Gehege. Topf- und
Pfannenreiche sind wohl abgegrenzt, und es liegen Wüsten, Meere und Dekaden
dazwischen. Keiner der beiden wußte bisher vom anderen. Wir indessen wissen
nur, daß der erste keinen Brei verderben kann. Kann es der zweite? Wir wollen
nicht vorgreifen: die zeitliche Folge ist es, die das Wesentliche dieses
Berichtes ausmacht.
Kuno — bleiben wir der Einfachheit
halber, bei der Wahl dieses Namens — lüpft den Deckel und guckt in den Topf. Er
taucht den Finger bis zum Knöchel in den milchigen Grieß, hält ihn dort — seine
Gliedmaßen sind an Hitze gewöhnt — , schließt die
Augen und zählt bis drei. Dann zieht er den Finger aus dem Brei und leckt ihn
ab. Er schaltet eine kleine Kunstpause ein — auch ein Zubereiter leichter
Diäten nimmt gern die Gelegenheit wahr, sich einer kleinen Allüre hinzugeben, —
dann blickt er ein wenig traurig auf einen unbestimmten Punkt und schüttelt
sachte den Kopf. Die beiden Köche sehen einander an: eine gewisse Ratlosigkeit
schwebt im dunstig-schwadigen Raum, es ist, als spüre
man sekundenlang den Flügelschlag der Parzen. Was nun? — Taktvoll wenden wir
den Blick ab: sind wir doch nicht gern Zeugen stummer Eingeständnisse von
Scheitern oder Versagen. Und so verlassen wir die Breiküche auf Zehenspitzen,
nachdenklich über den Umstand, daß die Spannungen unserer Zeit sich mitunter in
Regionen schleichen, wo man sie gemeinhin nicht vermuten würde.
Neugier treibt uns nach geraumer Zeit
wieder an den Ort des Geschehens. Die beiden Köche sitzen neben dem Herd,
nennen einander bei Vornamen — der erste heißt Philip — und spielen Halma, oder
Mühle, jedenfalls ein Brettspiel.
Man ist erfreut, von einem unguten
Gefühl erlöst; dennoch wäre es ganz und gar falsch, durch Wort oder Miene zu
verraten, daß diese Eintracht ungewöhnlich sei. Im Gegenteil: man tut so, als
sei sie die natürlichste Sache der Welt, oder zumindest eine der natürlichsten.
Man geht grüßend, vielleicht gar scherzend, vorüber, lüftet im Vorbeigehen den
Deckel vom Topf: der Brei sieht um weniges anders aus, als die Breis
vergangener Zeiten, von unseren über-alles-geliebten ,
kosenamigen Kindermädchen zwischen Bilderbuchreim und herzhaftem Pusten als
»lecker« bezeichnet: gewiß: nicht mehr so locker, so schaumig wie zuvor,
dennoch: unverdorben. Eine Löffelprobe, — und unser Gaumen bestätigt den
Eindruck des Auges. Was hat der gute Kuno getan? Den Mondamingehalt hat er verstärkt, wobei er gewiß an seinen Bischof gedacht hat, der ja, wie
anfangs erwähnt, nicht nur nach den Regeln Gottes, sondern auch nach den — völlig
anders gearteten — Regeln des Kalorien- und Eiweißgehaltes lebt, womit er seine
mönchskargen Zellen aufbaut. — Wer würde es wagen, Kuno zu rügen? Einzig unsere
Schuld ist es ja, daß es hier nicht um Gedeih, sondern um Verderb geht. Unser
geduldiger Blick streift die beiden Köche, zu gut für diese Zeit, zu milde für
diese Welt. Unsere Gedanken indessen schweifen fremden Kapazitäten zu.
Und nicht ohne Zögern greifen wir denn
zu Gaston. Gaston! Jedermann kennt ihn, kennt diese zwei allzu
weltlich-verheißungsvollen Silben und spricht sie mit größerer Hochachtung aus
als manchen suada-langen , gutturalen spanischen
Grandentitel, und jedenfalls mit weitaus mehr gaumigem ,
mundwässerndem Genuß. Viele Jahre ist es her, daß der in Brüssel gestrandete
und im dortigen Gourmet-Viertel ansässige Onkel, das unregelmäßige Glied an der
Ahnenreihe, uns als Jüngling abends in das kleine Kenner-Restaurant »Chez
Gaston« mitgenommen hat, in welchem er das männliche Personal beim Vornamen,
das
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