Liebster Mitbewohner
spürte, wie Daniel mir immer wieder verstohlene Blicke zuwarf. Mir war klar, was er sagen wollte: Musst du dir als Lückenbüßer ausgerechnet meinen und Felix‘ Freund aussuchen.
Und ich hätte ihm geantwortet: Wer hat mich denn erst darauf gebracht, dass er Interesse an mir hat?
Ich führte dieses imaginäre Streitgespräch noch eine Weile weiter, weil ich fest damit rechnete, dass es heute oder morgen real werden würde.
Irgendwann war es nach zwölf und all diejenigen, die am nächsten Morgen arbeiten mussten, machten sich auf den Heimweg. Da das sowohl Justin als auch Benni betraf, schloss Jan sich kurzerhand an und sie verabschiedeten sich alle auf einmal.
Anstatt mir wie üblich die Hand zu geben, drückte Benni mich diesmal zum Abschied kurz an sich. „Gute Nacht“, hauchte er mir ins Ohr.
Einmal mehr spürte ich Daniels Blick auf mir. „Bis dann“, sagte ich einigermaßen kurz angebunden und löste mich von ihm. Er schien einen kurzen Moment irritiert, dann lächelte er wieder und winkte zum Abschied.
Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, ging es auch schon los: „Was war das?“, verlangte mein bester Freund zu wissen.
Ich schob mich an Daniel vorbei und griff nach der Klinke meiner Zimmertür. „Ich bin müde. Gute Nacht.“
Doch Daniel hielt mich am Arm fest. „Maja, wenn du was mit Benni anfängst, sollte ich es ja wohl als Erster erfahren!“
Ich stöhnte und versuchte, mich von ihm loszureißen. Ohne Erfolg. „Ich bin müde!“
„Ich auch. Aber ich will das wissen!“
„Ich will auch viele Dinge und bekomme sie nicht!“ Ich kam mir vor, als würde ich mit einem kleinen Kind streiten. Oder mit Felix.
„Maja!“, rief Daniel frustriert aus.
Da piepte mein Handy. Ich zog es mit meiner freien Hand aus der Hosentasche. Eine SMS von einer unbekannten Nummer.
„Ich glaub es nicht!“, rief Daniel. Er linste über meine Schulter aufs Display. „Das ist Bennis Nummer!“
„Echt?“ Neugierig drückte ich auf Öffnen .
Hi Maja. Ich bin’s, Benni. Ich wage es jetzt einfach mal und frage dich, ob du Lust hättest, mal mit mir was essen zu gehen. Nur wir beide, meine ich. Falls du jetzt aus allen Wolken fällst und komplett uninteressiert bist, ist keine Antwort nötig. Dann lösch diese SMS einfach und tu bitte so, als hättest du sie nie bekomme n .
„Wie viele SMSen sind das? Drei?“
„Keine Ahnung, wird bei mir nicht angezeigt.“ Ich drehte mich so, dass Daniel das Display nicht mehr sehen konnte. „ Benni würde bestimmt nicht wollen, dass einer seiner engsten Freunde seine Flirt-SMS liest!“
„Flirt-SMS? Wenn es nur eine wäre! Der Kerl ist doch komplett verschossen!“
„Meinst du?“ Ich las die Nachricht ein zweites Mal durch. „Irgendwie charmant, findest du nicht?“
„Auf jeden Fall ganz anders als Felix, wenn du das meinst.“
Ich klappte mein Handy zu und sah Daniel böse an. „Das habe ich nicht gemeint. Ich vergleiche die beiden nicht, okay? Überhaupt denke ich gar nicht mehr auf diese Weise an Felix, wenn du es genau wissen willst. Und wenn ich mich entschließen sollte, mich mit Benni zu treffen, hat das rein gar nichts mit Felix zu tun, kapiert?“
„Ja, sicher.“ Urplötzlich ließ Daniel meinen Arm los. Er drehte sich um und steuerte auf sein Zimmer zu.
„Bist du jetzt sauer, oder was?“, rief ich ihm hinterher. Statt einer Antwort, hörte ich nur die Zimmertür zuknallen.
Ich antwortete Benni an diesem Abend nicht mehr. Es konnte schließlich nicht schaden, wenn ich eine Nacht darüber schlief. Am nächsten Tag stellte ich mir eine Liste der Kurse zusammen, die ich nächstes Semester besuchen wollte. Ich wählte mit Absicht nur diejenigen dieses Semesters, die mich zumindest halbwegs interessiert hatten und fügte noch ein paar vom darauffolgenden Semester hinzu. Falls ich mich tatsächlich entscheiden sollte, das Jurastudium auch im Oktober noch fortzusetzen, konnte ich dann immer noch die trockeneren Lehrinhalte in Angriff nehmen. Und falls ich – wie geplant – mit Kunst anfing, würde ich in meinem letzten Jurasemester zumindest etwas Spaß haben.
Daniel ging mir aus dem Weg. Am Mittwoch stand er dann so unvermittelt hinter mir in der Küchentür, dass ich zusammenzuckte, als er fragte: „Was hast du Benni geantwortet?“
Nachdem ich mich von meinem Schrecken erholt hatte, sagte ich wahrheitsgemäß: „Noch gar nichts.“
„Und was wirst du ihm antworten?“
„Ja klar, als ob ich dir das jetzt auf
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