Liebster Mitbewohner
sah.
Mit der Rolltreppe fuhr ich hinunter zu den Gleisen. Gerade war eine U-Bahn eingefahren. Menschen drängten h inein und hinaus und auf die Rolltreppe zu. Ein blonder junger Mann hastete an mir vorbei und versuchte, die Bahn noch zu erwischen. Doch die automatischen Türen hatten sich bereits geschlossen. Der Mann drückte fanatisch auf den Türöffnungs-Knopf, doch da fuhr die Bahn bereits an. Er fluchte, wandte sich ab und ließ sich auf eine Bank fallen. Direkt neben einen anderen jungen Mann, der bereits dort saß. Ein junger Mann mit dunklem, leicht gewelltem Haar, das ihm in die Augen fiel. Wahrscheinlich etwas über eins achtzig groß, mit einer blauen Jeans und einem schwarzen Mantel bekleidet. Er hing auf der Bank, als könnte er sich kaum noch aufrecht halten. Leicht seitlich, einen Arm über der Lehne, die Beine weit von sich gestreckt. Fehlte nur noch ein Bier in der Hand und ich hätte ihn wahrscheinlich für einen Betrunkenen gehalten.
Entschlossen stapfte ich auf ihn zu. Die U-Bahn war längst nicht mehr zu hören. Stille hatte sich in der Station ausgebreitet. Meine Stiefel klackten bei jedem Schritt, den ich mich auf Felix zubewegte.
Klack. Klack. Klack.
Er drehte den Kopf und sah mich an.
Im ersten Moment dachte ich, er sei wirklich betrunken. Mit glasigen Augen schien er durch mich hindurch zu sehen. Dann klärte sich sein Blick plötzlich. Hektisch sah er in die entgegengesetzte Richtung, dann wieder zu mir.
Ich musste grinsen. Er wirkte wie ein panisches Tier, das nach einem Fluchtweg suchte. Schließlich starr te er mir mit zusammengepresstem Kiefer entgegen, bis ich ihn erreicht hatte. „Was machst du hier?“, raunzte er mich an, als ich mich mit verschränkten Armen vor ihm aufbaute.
Der blonde Mann, der die Bahn verpasst hatte, drehte den Kopf und schaute uns neugierig an.
„Was ich hier mache? Was machst du denn hier? Hast du die ganze Nacht hier verbracht?“
„Wie hast du mich gefunden?“ Felix wandte den Blick ab und starrte stur geradeaus.
„Hallo? Rede ich mit der Bank? Oder mit den hundertfünfzig Kaugummis, die darunter kleben? Ich will wis sen, wo du die ganze Nacht gewesen bist!“
„Mann, ich war hier! Es war schweinekalt und die Gestalten, die ich hier getroffen hab, hätten sich auch in einem schlechten Horrorfilm wie zu Hause gefühlt. Trotzdem waren diese Stunden um einiges besser als die dreißig davor, die ich mit dir in einem Zimmer verbracht habe. Und das sollte dir wirklich zu denken geben.“
Der blonde Kerl, der uns noch immer beobachtete, pfiff leise durch die Zähne.
Ich presste die Lippen aufeinander und versuchte krampfhaft, Felix‘ Provokationen zu ignorieren und mich auf das Wichtige zu konzentrieren. „Geht’s dir gut? Hast du heute schon was gegessen? Bestimmt hast du dir eine Erkältung eingefangen. Komm mit nach Hause.“
Felix starrte mich an, als hätte ich ihm gerade gesagt, dass ich eine Familie mit ihm gründen wollte. „Was soll der Scheiß? Du kannst mich genauso wenig leid en wie ich dich. Also wen willst du hier verarschen?“
„Stimmt, ich kann dich nicht leiden. Du bist ein selbstbezogenes, rücksichtsloses Arschloch.“
Der blonde Beobachter hob die Augenbrauen. In diesem Moment fuhr die nächste Bahn ein und er erhob sich von der Bank. Es war ihm anzusehen, dass er gern noch geblieben wäre und uns weiter zugehört hätte.
„Aber das heißt nicht, dass ich dir Krankheit und Tod an den Hals wünsche!“ Diesen Satz musste ich schreien, um den Lärm der einfahrenden Bahn zu übertönen. „Na gut, manchmal vielleicht schon. Zum Beispiel gestern, als du mich beinahe mit diesem Buch erschlagen hättest!"
„Ich habe es nicht mal in deine Richtung geworfen!“
„Egal, der Punkt ist: Dani macht sich echt Sorgen um dich. Und mir fehlt ein Streitpartner. Verdammt, ohne die ständigen Auseinandersetzungen mit dir muss ich wieder viel öfter an meinen Ex denken. Wenn du also zurückkommst, haben wir beide etwas davon: Ich habe Ablenkung und du musst die Nacht nicht mehr wie ein Obdachloser verbringen. Ach, bevor ich es vergesse: Du hast nicht zufällig heute Nacht bei uns geklingelt, oder?“
Wieder dieser verwirrt fragende Blick, der ernsthafte Zweifel an meiner geistigen Gesundheit zum Ausdruck brachte. „Äh… nein?“
„Dachte ich es mir doch“, murmelte ich.
„ Es hat heute Nacht bei euch geklingelt?“
„Anscheinend nicht.“
„Wie? Du hast dir eingebildet, es hätte geklingelt?“
„Keine Ahnung. Kann
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