Liebster Mitbewohner
wie die letzten zwei Jahre schon.“
Ich starrte ihn an.
Felix blickte mir erwartungsvoll entgegen.
Doch der Schock, dass er ger ade von sich aus über seine Arbeit gesprochen hatte, lähmte mein Denken. So sagte ich das erste, das mir einfiel: „Wie hast du es dann die letzten zwei Jahre ausgehalten?“
„Genauso wie das Studium: Mir eingeredet, dass ein Punkt kommen würde, an dem mir das Ganze Spaß machen würde. Mir vor Augen gehalten, wie viel Zeit und Mühe ich schon investiert habe und was es für ein Gefühl wäre, jetzt aufzugeben.“ Seine Stimme war mit jedem Satz bitterer geworden. „Ich weiß, jetzt erzählst du mir gleich, dass das dumm war und ich einfach was anderes hätte anfangen sollen. Und soll ich dir was sagen? I ch befürchte beinahe, dass du Recht hast.“
Ich war zu perplex, um zu antworten.
„Es muss schön sein, die Freiheit zu haben, auch zum hundertsten Mal was Neues anfangen zu können, wenn einem das Alte keinen Spaß mehr macht.“
„Aber diese Freiheit hast du doch auch. Die hat jeder.“
Felix musterte mich nachdenklich. So lange, dass ich mir nicht sicher war, ob er überhaupt noch antworten würde. Schließlich sagte er: „Theoretisch ja, aber praktisch sieht das ganz anders aus. Ich denke, ich könnte es einfach nicht.“ Er machte eine kurze Pause, presste die Lippen zusammen, und fügte dann hinzu: „Ich fühle mich ja jetzt schon wie ein Versager, weil ich meinen Stelle in der Klinik hingeschmissen habe.“
„Das ist doch Blödsinn! Versager sind die, die zu feige sind, selbst zu entscheiden, was sie wollen und was nicht!“
„Aber das sehen die meisten Menschen nun mal anders. Jemand, der auf seinem Selbstfindungstrip zig verschiedene Sachen anfängt und abbricht, wird von anderen nicht gerade mit Respekt und Ansehen überhäuft.“
„Ach was, ehrlich?“, fragte ich mit einem ironischen Grinsen. „Hast du dich deswegen nicht getraut, das Medizinstudium aufzugeben?“
„Vielleicht. Ehrlich gesagt kam mit diese Option gar nicht erst in den Sinn. Ich hatte mich für Medizin entschieden, also würde ich es durchziehen und Arzt werden. Ende.“
„Warum dann jetzt der Sinneswandel?“
Felix zog die Decke noch ein Stückchen weiter hoch, sodass sie sein Kinn berührte. „Es ging einfach nicht mehr. Körperlich, meine ich. Wenn morgens der Wecker klingelte, fühlte ich mich, als hätte ich die Grippe oder einen Kater. Ich war schrecklich müde, hatte Kopfschmerzen und konnte meinen Körper kaum bewegen. Anfangs ignorierte ich es und schleppte mich trotzdem in die Klinik. Irgendwann ging ich zum Arzt. Der gab mir eine Überweisung zur Psychotherapie wegen Verdacht auf Burnout. Anstatt hinzugehen hab ich gekündigt, meine Sachen gepackt und bin bei Daniel eingezogen.“
„Wow “, murmelte ich. „Aber du hast Recht: Ich kapier nicht, wie man es so weit kommen lassen kann.“
„Und ich kapier nicht, wie man im 1-Jahres-Rhythmus alles hinschmeißen kann.“
„Eben hast du noch gesagt, dass ich Recht habe!“
„Ich hab gesagt, ich befürchte , dass du Recht hast. Außerdem war das gerade ein sehr sehr dunkler Moment. Zugegeben: Es war falsch, all die Jahre so zu tun, als würde irgendwann alles von allein besser werden. Aber wie du zu sein ist doch auch keine Lösung!“
„Jedenfalls habe ich kein Burnout!“
„Dafür bist du immer noch genauso planlos wie nach dem Abi. Du bist deinem Traumberuf keinen Millimeter näher gekommen.“
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Dafür habe ich ein paar Berufe für mich ausgeschlossen. Ich weiß zumindest, dass ich weder Arzthelferin noch Kindergärtnerin werden will und auch nicht Psychologie oder Germanistik studieren möchte. Ach ja, und Jura auch nicht.“
„Und das war dir immer schon nach ein paar Monaten, beziehungsweise ein bis zwei Semestern klar?“
„Besser als ein ganzes Studium sowie zwei Berufsjahre zu brauchen, um auf den Trichter zu kommen.“
Anstatt auf meine Provokation zu reagieren, grinste Felix nur. Er stützte seinen Oberkörper mit dem Ellenbogen hoch. „Deine Kommilitonin hat Recht. Du gibst einfach bei den ersten Schwierigkeiten auf.“
„Das hat sie gar nicht gesagt!“
„Aber es ist so. Du hast keine Lust auf Schwierigkeiten, also wirfst du bei den ersten Problemen alles hin und suchst dir was Neues. In der Hoffnung, dass dabei alles glatt läuft. Aber den klassischen Traumberuf gibt es nicht, Maja. Auch der Job, der am perfektesten zu dir passt, würde dir ab und zu
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