Liebster Mitbewohner
Gesichtszüge. „Hör zu“, begann er in ungewohnt freundlichem Tonfall. „Ich brauche wirklich meine Ruhe. Du kannst hier nicht wohnen.“
Jetzt versuchte er es also mit Vernunft und Diplomatie. Das konnte ich auch: „Ich kann und tue es bereits.“
„Ich habe meinen Job verloren, habe kein Geld und kann deshalb sonst nirgendwo hin.“
Ich öffnete den Mund, um etwas Fieses zu erwidern, doch es wollte einfach keine Gemeinheit herauskommen. „Das tut mir leid“, sagte ich aufrichtig.
Er nickte langsam. „Ich muss mich völlig neu orientieren. Mir überlegen, wie mein Leben weitergehen soll und dafür brauche ich einfach ein wenig Privatsphäre, verstehst du?“
Plötzlich hatte ich das Gefühl, neben mir zu stehen und auf mich herabzublic ken. Was ich sah, war nicht gerade schön: Eine rücksichtslose, egozentrische Person, die nur ihre eigenen Probleme im Kopf hatte. Die sich nicht mal eine Sekunde fragte, was Felix wohl dazu bewog, so zu reagieren, wie er es getan hatte. Ich erkannte mich selbst nicht wieder.
Felix sprach weiter: „Es tut mir leid, dass du in einer ähnlich verzweifelten Lage steckst wie ich. Aber von Daniel weiß ich, dass du zumindest einen Job hast. Und bestimmt hast du auch eine Menge Freunde hier in der Stadt, zu denen du gehen könntest. Ich habe zu kaum jemandem von den alten Leuten noch Kontakt.“
Meine Wangen brannten vor Scham, als ich mich von der Couch erhob. Ich musste mich zwingen, Felix in die Augen zu sehen. „Tut mir wirklich leid. Ich wusste nicht, dass du solche Probleme hast.“
Felix zuckte mit den Achseln. „Woher auch? Ich hätte dir die Situation von Anfang an erklären sollen.“ Auch er lächelte. Und plötzlich sah er genauso aus wie damals. Mit diesem Lausbubengrinsen, das ihn so unverkennbar und anziehend gemacht hatte. Die Aussicht, nicht zu wissen, wo ich hinsollte, kam mir gar nicht mehr so schlimm vor.
„Sorry nochmal. Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los war.“ Ich wandte mich der Tür zu. Als von Felix nichts mehr kam, griff ich nach der Klinke. „Es war… schön, dich wieder zu sehen.“ Dann flüchtete ich aus dem Zimmer. Draußen lehnte ich mich schwer atmend gegen die Tür. Am liebsten hätte ich meinen Kopf dagegen gehämmert. Es war schön, dich wieder zu sehen? Ich musste wirklich dringend lernen, zu denken, bevor ich den Mund aufmachte.
Neben mir ging Daniels Zimmertür auf. Vorsichtig steckte mein ehemals bester Freund seinen Kopf heraus.
„Wieso hast du mir nicht gesagt, dass er dein neuer Mitbewohner ist?“, zischte ich.
„Eben deshalb “, flüsterte er gleichermaßen gereizt. „Sieh dich an. Du bist total von der Rolle. Denkst du nicht, es ist langsam an der Zeit, ihn zu vergessen?“
„Sei nicht albern. Mein Freund hat gerade mit mir Schluss gemacht und ich bin einfach überrascht, Felix wieder zu sehen. Das ist alles. Und selbst, wenn es anders wäre: Du hast nicht zu entscheiden, wen ich vergesse und wen nicht!“ Jetzt war ich doch wieder nahe daran, Daniel anzuschreien. Schlimmer noch: Ich war kurz davor, ihn mitten im Flur vor Felix’ Zimmertür anzuschreien. Felix‘ überaus hellhöriger Zimmertür. Also schubste ich Daniel zurück in sein eigenes Zimmer, folgte ihm und schloss die Tür hinter uns. „Und wieso hast du mir nicht gesagt, in welcher Situation er sich befindet?“
„Ich habe dir gesagt, dass er Probleme hat!“
„Das hätte auch bedeuten können, dass er sich mit einem Freund gestritten oder einfach schlechte Laune hat. Du hättest mir sagen müssen, dass er entlassen wurde! Dann hätte ich doch niemals… “ ich brach ab und raufte mir die Haare. „Hast du eine Ahnung, was er jetzt für einen Eindruck von mir hat? Der muss mich doch für eine selbstbesessene Ziege halten.“
„Eher für eine extrem gutgläubige Ziege.“
Ich blinzelte irritiert. „Was?“
„Mir hat er erzählt, dass er selbst gekündigt hat.“
„Was soll das heißen?“
„Er ist freiwillig gegangen.“
„Ich weiß, was kündigen heißt. Ich meine: Hat er dich angelogen oder mich?“
„Welchen Grund sollte er haben, mich anzulügen?“
„Warum sollte er mich anlügen?“
Daniel hob die Augenbrauen.
Mir klappte der Mund auf. „Dieser… “
Bevor Daniel etwas sagen konnte, war ich schon zurück auf den Flur gestürmt und riss Felix’ Zimmertür auf.
„Ich wusste, ich hätte etwas vor die Tür schieben sollen.“ Er saß auf dem Bett und sah mir gelassen entgegen. „Ich dachte, du wolltest dich
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