Liebster Mitbewohner
auszuziehen!“
Ich ignorierte ihn und ging ins Schlafzimmer, wo ich meine Reisetasche und meinen Rucksack unter dem Bett hervorzerrte. Willkürlich warf ich Kleidung, Bücher und Kosmetika hinein. Dann holte ich die Kisten, die ich schon beim Umzug von meinem kleinen, möblierten WG-Zimmer in Leons Wohnung benutzt hatte, aus der Abstellkammer. Meine ganzen Sachen waren überraschend schnell verstaut.
Als ich die schwere Tasche den Flur entlang zur Haustür zerrte, saß Leon immer noch am Frühstückstisch. Ich spürte seinen Blick auf mir, doch ich sah nicht mal in seine Richtung.
„Die Kisten hole ich die nächsten Tage hab“, informierte ich ihn noch, bevor ich die Wohnung verließ.
Erst als ich bei minus fünf Grad mit einer Tasche, die ich kaum ziehen, geschweige denn heben konnte, auf dem Bürgersteig stand, begriff ich wirklich, was gerade passiert war. Ich hatte nicht nur meinen Freund, sondern auch meine Wohnung verloren. Ich sah an der Hausfassade hoch. Hatte ich zu überstürzt gehandelt? Hätte ich das Ganze mit Leon ausdiskutieren sollen? Ich schüttelte entschieden den Kopf. Er hatte mit mir Schluss gemacht. Er wollte nicht mehr mit mir zusammen sein. Oder vielleicht hatte er auch gedacht, dass ich versprechen würde, mich zu ändern, wenn er nur die Beziehung mit mir weiterführte. Wenn es so war, kannte er mich noch schlechter, als das Gespräch eben hatte vermuten lassen. Nein, er würde derjenige sein, der seinen Fehler einsah und mich anflehte, zu ihm zurückzukommen. Was ich natürlich nicht tun würde. Ich würde ihn eiskalt abblitzen lassen. Das hieß, wenn ich bis dahin nicht erfroren war. Ich brauchte dringend ein Dach über dem Kopf.
Da fiel mir Daniel ein und dass sein zweites Zimmer sowieso leer stand. Bei dem Gedanken daran musste ich lächeln. Ich würde bei Daniel einziehen, über Leon hinweg kommen und mein neues Leben als Design-Studentin anfangen. Auch, wenn mir diese Vorstellung im Augenblick nicht viel Freude machte, klammerte ich mich daran fest. Als ich mir ein Taxi rief, einstieg, mich zu Daniel fahren ließ und dort die Tasche die Stufen hoch zerrte, konzentrierte ich mich auf meine Wut und ignorierte meine Verzweiflung. Schon bald würde Leon aufwachen und sich fragen, was ihn da heute Morgen geritten hatte. Er würde mich anrufen, doch ich würde nicht abnehmen. Er würde mir hunderte von SMSen schreiben. Und wenn ich mich endlich bereit erklärte, mit ihm zu reden, würde ich ihm sagen, dass ich mit meinem neuen Leben mehr als zufrieden war. Dass es mir ohne ihn besser ging. Und ich würde ihm viel Glück für sein weiteres Leben wünschen. Was er natürlich nicht haben würde. Niemals wieder würde er eine annähernd so erfüllte Beziehung wie unsere erleben. Er würde den heutigen Tag und seine Worte für immer und ewig bereuen.
So hatte ich tatsächlich wieder ein Lächeln auf den Lippen, als ich endlich Daniels Wohnungstür erreichte. Zwar kein fröhliches Lächeln, sondern nur ein hämisches, aber immerhin. Daniel machte mir auf, ich trat ein, und dann entglitt mir mein mühsam aufgebautes positives Denken vollends.
Daniel verweigerte mir sein Zimmer, weil er es schon an irgendeinen Freund vergeben hatte. Wir gerieten in Streit und plötzlich geschah das Wunder, das mich die grauenhaften Ereignisse vom Morgen kurzzeitig vergessen ließ. Felix stand vor mir. Der Felix, für den ich meine gesamte Schulzeit über geschwärmt hatte, und von dem ich überzeugt gewesen war, ihn nie wieder zu sehen.
„Du“, sagte Felix tonlos.
Ich war nicht imstande, auch nur einen Laut von mir zu geben. Er war es wirklich. Das dunkelbraune, leicht wellige Haar war jetzt etwas länger als früher, so dass es ihm ins Gesicht fiel. Und seine blaugrünen Augen, die früher vor Ausgelassenheit gesprüht hatten, strahlten eine ungewohnte Ernsthaftigkeit aus. Und noch etwas, das ich nicht deuten konnte. Doch die hohen Wangenknochen waren noch dieselben, ebenso wie die leicht gebräunte Haut und die geschwungenen Augenbrauen.
„Tja, Überraschung!“, rief Daniel unbeholfen. „Felix, du erinnerst dich bestimmt noch an Maja, oder?“
„Dunkel.“ Der Blick aus seinen hellen Augen wurde von Sekunde zu Sekunde unfreundlicher.
Ich schluckte. Aber was hatte ich erwartet? Dass Felix die letzten acht Jahre ständig an mich gedacht und noch viel öfter von mir geträumt hatte? Wohl kaum. Ich schluckte den bitteren Geschmack, den Felix‘ offen zur Schau gestellte Ablehnung bei mir
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