Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
Vom Netzwerk:
Brustflossen liefen. Er brachte sein menschenkopfgroßes Auge in eine Position, aus der heraus er Leah ansehen konnte. Dabei stellte er den Flipper senkrecht in die Luft, eine drei bis vier Meter hohe, ehrfurchtgebietende schwarzweiße Wand, die das Schlauchboot mit einem Schlag hätte zerstören können.
    Ein Blick zu Masao zeigte Leah jedoch, dass es keinerlei Grund zur Besorgnis gab. Verlass dich auf die Profis, befahl sie sich. Dann sah sie dem Wal ins Auge. Er bewegte sich nicht, wurdeeins mit dem Wasser. Sie konnte nicht sagen, wie lange sie sich anschauten, sie hatte fast den Eindruck, sie versuchten einander zu hypnotisieren. Langsam und zögerlich streckte sie ihre Hand aus und berührte seine schwartige Haut. Wie schon vorgestern, als sie den sterbenden Wal auf dem Schiff gestreichelt hatte, prickelten ihre Fingerspitzen. Sie hatte gedacht, sie hätte es sich nur eingebildet, aber jetzt wiederholte es sich, stärker noch, denn dies hier war eine völlig andere Erfahrung als die mit dem kleinen Wal. Der hatte in einem Becken gelegen, schwerverletzt, konnte sich nicht mal bewegen, geschweige denn flüchten, wenn ihm danach zumute gewesen wäre. Dieser Riese hier war aus eigenem Willen zu ihr gekommen, um sie kennenzulernen, um Kontakt zu ihr aufzunehmen, zu ihr, Leah Cullin aus Washington, D. C.
    Nach einer geraumen Zeit regte sich der Buckelwal und stupste mit dem Kopf leicht gegen das Schlauchboot. Der Zodiac schaukelte, und Leah stellte fest, dass sie keinerlei Angst mehr verspürte. Sie befürchtete auch nicht, dass das Tier ihre Berührung vielleicht mit seiner Flosse erwidern könnte. Der Wal schien genau zu wissen, was der Kontaktaufnahme diente und was ihr entgegenwirkte.
    »Gib mir deine Kamera«, vernahm sie Masaos Stimme. Gedankenverloren streifte sie den Apparat ab und reichte ihn dem Japaner. Dann wandte sie dem Wal wieder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu, strich über dessen Haut. Abermals stupste er das Boot an, dann verschwand er in der Dunkelheit des Meeres, so unerwartet, wie er erschienen war. Und an seiner Stelle tauchte einige Sekunden später David auf.
    Masao half ihm an Bord. David nahm die Brille ab und den Atemregler aus dem Mund. Er strahlte.
    »Haben Sie den Wal markieren können?«
    Er nickte. »Beide.«
    Masao startete den Motor, langsam tuckerten sie zum Schiff zurück. Leah schwieg die ganze Zeit über, sogar noch, als sie wieder auf dem sicheren Deck des Vorschiffs stand, und auch noch, als sie sich wieder umgezogen hatte und an der Reling lehnte.
    David hantierte auf dem Vordeck mit den Ausrüstungsgegenständen, dann trat er lautlos neben sie.
    »Sie haben ihn berührt, nicht wahr?«, hörte sie ihn sanft fragen.
    Leah sah ihn nur an und nickte. Und traf eine weitere Entscheidung. Die sie genauso überraschte wie David.
    »Beim nächsten Mal würde ich gerne mittauchen.«
    David sah sie erstaunt an. In seinem Gesicht konnte sie den Widerstreit zwischen Freude, Skepsis und Ablehnung beobachten. »Leah, ich weiß nicht, das ist vielleicht ein etwas übereilter Schritt.«
    Hätte Leah mehr darüber nachgedacht, so hätte sie ihm vermutlich recht gegeben. Doch sie tat es nicht.
    »Bitte. Ich verspreche auch, ich werde nichts tun, was Sie von Ihrer Arbeit abbringen könnte. Und den Tauchschein hab ich auch.«
    Er malte mit den Händen ein paar Zeichen in die Luft. »Was bedeutet das?«
    Leah lächelte. »Entweder, dass mit Ihrer Feinmotorik etwas im Argen liegt – oder Sie wollen mir klarmachen, dass ich auftauchen soll, was hier oben an Bord etwas schwierig ist. David – ich bin vielleicht ein bisschen aus der Übung, das heißt aber nicht, dass ich alles vergessen habe. Außerdem kann ich gut auf mich selbst aufpassen.«
    Er war sich immer noch nicht sicher.
    »Bitte. Ich möchte auch zu ihnen schwimmen.«
    Eine halbe Stunde später saß sie mit im Schlauchboot, und eslag nicht an den Temperaturen, dass ihr heiß und kalt zugleich wurde. Sie konnte ihre Aufregung kaum verbergen. Zum Glück hatte David sie nicht gefragt, wann und wo sie das letzte Mal getaucht war, denn sonst hätte sie gestehen müssen, dass sie über den Rand eines Schwimmbeckens nie hinausgekommen war. Warum eigentlich? Zu viel Furcht vor dem, was in den Meeren lauerte, oder einfach nur Mangel an Interesse? Beides wahrscheinlich. Den Schein hatte sie damals lediglich absolviert, um Timothy einen Gefallen zu tun.
    David beachtete sie nicht weiter. Kaum am Ziel angekommen, setzte er Brille und Atemgerät

Weitere Kostenlose Bücher