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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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kannte, sicher nicht wenig.
    Leah reichte ihm den Wasserbecher und brachte anschließend ihr Ohr wieder an seine Lippen, denn er setzte seine Rede im Flüsterton fort. Es schien ihm jetzt leichterzufallen.
    Offenbar hatte er sich damals in einer dermaßen angespannten Lage befunden, dass er beschloss, nach ihrem Gespräch in seiner Verzweiflung Kontakt mit McGregor aufzunehmen und ihn um ein Treffen zu bitten. Es war ihm völlig klar, dass McGregor sich auf nichts einlassen konnte, doch trotzdem schenkte dieser ihm ein paar Minuten Gehör. Schnell schilderte er dem Börsenguru seine Situation, erzählte auch von seiner Tochter, die ihm den Tipp gegeben hatte, und auch dass er diese Unterhaltung, ebenso wie die mit seiner Tochter, auf jeden Fall sofort wieder vergessen werde. Nur eine Sache: Konnte er sein Geld in Harriman anlegen? Nach einer endlos lang erscheinenden Pause nickte McGregor ihm kurz zu, Leahs Vater bedankte sich und ging. Der Rest war Geschichte.
    Ihr Vater wirkte, als ob ihm eine Last von den Schultern genommen wäre. Während er sich bemühte weiterzusprechen, nahmen seine Augen einen seidenen Glanz an. Die Worte, fast kraftvoll ausgestoßen, waren nicht misszuverstehen: »Bitte, pass auf deine Mutter auf.« Dann atmete er nicht mehr.
    D ie folgenden Stunden verbrachte Leah wie in Trance. Sie erinnerte sich noch, dass sie den Notrufknopf betätigt hatte, bis ihr Daumen wehtat, und dass sie von zwei Ärzten aus dem Zimmer gescheucht worden war. Sie erinnerte sich auch, wie ein Tier im Zoo den Flur auf und ab gerannt zu sein, mit immer wieder den gleichen Bewegungen, als ob sie in der Lage gewesen wäre, den Lauf des Geschehens zu ändern, wenn sie nur lange und schnell genug den Steinfußboden abschabte. Ihre Mutter hatte wie erstarrt auf dem Plastikstuhl gesessen. Dass Timothy sie nach Hause geholt hatte, wusste Leah nur noch aus seinen Erzählungen.
    Die nächsten Tage erlebte sie wie hinter einer Nebelwand, abgeschirmt von der Außenwelt und von allen, die in der Lage gewesen wären, sie in die Realität zurückzuholen – in eine Realität, die sie im Moment nicht ertragen hätte. Timothy nahm sich eine Woche Urlaub, half bei den Vorbereitungen des Begräbnisses, kümmerte sich um Michael und ihre Mutter, während Leah apathisch auf ihrem Bett lag und nur an Harriman dachte – dieses kleine, unscheinbare Wörtchen, das, kaum hatte es ihren Mund verlassen, zu einem Fluch geworden war, der ihren Vater das Leben gekostet hatte. Sie war schuld daran, ausgerechnet sie, die ausgebuffte Wirtschaftsredakteurin! Die es eigentlich hätte besser wissen müssen. Nein, es gab keine Ausrede. Je mehr sie sich die Schuld am Tod ihres Vaters zuschrieb, desto wütender wurde sie auf den, der ihr diesen mörderischen Tipp gegeben hatte ... Auf den, dessen Gesicht drohend in dem Nebel lauerte, der sie umgab.
    Timothy nahm alle Telefonate entgegen. Unter den Anrufern war ein hartnäckiger Anwalt, der immer wieder verlangte, Leah zu sprechen, er müsse sich mit ihr und ihrer Mutter sofort treffen. Doch Leah lehnte jede Rückkehr ins Leben kategorisch ab. Am Tag des Begräbnisses war sie zum ersten Mal gezwungen, das Haus zu verlassen und den Zustand fortdauernder Betäubungaufzugeben. Sie erkannte sich selbst kaum wieder: War nicht immer sie diejenige gewesen, die die Dinge mit Vernunft betrachtete, die immer den Überblick bewahrte? Mit dem Tod ihres Vaters schien jemand den Stecker aus der Dose gezogen zu haben.
    An die Beerdigung selbst konnte sie sich nur vage erinnern. Beim gemeinsamen Mittagessen kam es ihr vor, als befände sie sich mitten in einem Film, dessen Zuschauerin sie gleichzeitig war. Als würde sie alles aus einer großen Distanz betrachten, in gewisser Weise unbeteiligt und dennoch ergriffen vom Wechselspiel der Darsteller, die ihrer Rolle gemäß agierten. Ihrer Mutter ging es offensichtlich ähnlich. Sie saß starr in ihren Stuhl gedrückt, und ihr Blick ließ darauf schließen, dass sie sich in einer anderen Welt befand, zu der niemand sonst Zugang hatte.
    Tage später hätte Leah sich dafür ohrfeigen können, dass sie einfach nicht in der Lage gewesen war, ihrer Mutter Trost zu spenden. Sie war kein kleines Mädchen mehr, verdammt. Und trotzdem: Für Leah war ihr Vater der Fels in der Brandung gewesen. Autoritär, aber Sicherheit vermittelnd und zuverlässig. Und immer zur Stelle, wenn sie ihn brauchte. Nicht nur finanziell, sondern vor allem, wenn es darum ging, ihre Zweifel zu zerstreuen und

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