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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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aus. Viele Kleinanleger investierten plötzlich in Risikofonds, besonders natürlich in die von »McHedgefonds«.
    Vier Wochen nach Leahs Treffen mit McGregor trat genau das ein, was er prophezeit hatte: Harriman begann seinen Höhenflug. Und genau weitere vier Wochen später geschah das, was niemand außer ein paar Mahnern in der Wüste geahnt hatte: Harriman stürzte wieder ab.
    Jim war am Morgen, an dem Harrimans Sinkflug begann, durch die Redaktion gerannt, so aufgeregt, wie Leah ihn noch nie gesehen hatte, und hatte Luke gesucht, »das Barometer«. Stanton war der stellvertretende Ressortleiter, offiziell dazu ernannt, über das aktuelle Geschehen an der Börse zu berichten, es zu analysieren und zu kommentieren. Jim tuschelte kurz mit Luke. Der sah sich um, erkannte, dass von seinem Team derzeit nur Leah an ihrem Schreibtisch saß, und winkte sie herbei. Jim spulte knapp die Fakten ab: Harriman hatte innerhalb von zwei Tagen 60 Prozent verloren, ein Ende war nicht abzusehen. Die anderen Fonds von McGregor waren gerade dabei, mit in den Strudel zu geraten, und wenn die Strömung sich verstärkte, würden sie bald alle durch den Gully gurgeln.
    Luke blickte Leah nur von der Seite an, und die nickte. Ja, sie würde darüber schreiben.
    »Wie viele Zeilen?«
    »So viele wie nötig.«
    Sofort setzte sie sich an ihren Rechner. Jim legte ihr wenige Minuten später die aktuellen Zahlen auf den Tisch, und sie tippte und tippte, während sie, Profi wie sie war, parallel dazu versuchte, McGregor ans Telefon zu bekommen. Doch der schien sich nicht mehr mit Reportern unterhalten zu wollen. Unter allen Nummern, die die Pressemappe hergab, ließ er sich verleugnen. Fünf Tassen Kaffee und einige Maalox später stand der Artikel. Sachlich. Nüchtern. In gewohnter Leah-Stanford-Qualität. Es war ihr nicht schwergefallen, die Worte aneinanderzureihen. Selbst acht Wochen nach ihrer Begegnung schien sie immer noch den Kuss auf ihren Lippen fühlen zu können, aber den Kitzel der Schadenfreude darüber, dass dem Mann, der alles haben konnte – ja, verflucht, neben dem Herzen von Miss Kosmetik auch das ihre, wenn er es bloß darauf angelegt hätte –, eben auch mal ein Stück des Kuchens von der Meute unterm Tisch weggeschnappt wurde, spürte sie ebenfalls.
    Jimmy nahm ihren Text entgegen, überflog ihn und nickte zufrieden. Damit war das Thema für Leah erledigt. Bis zum Abend.
    Als das Telefon klingelte, lagen sie und Timothy schon im Bett. Gerade eben hatte sie noch Michael zum Einschlafen eine selbsterfundene Geschichte erzählt, während Timothy den Korrekturabzug des bahnbrechenden Wälzers kontrollierte, mit dem er und seine Kollegen die Neurochirurgie bereichern wollten. Da ihr Göttergatte nicht die geringsten Anstalten machte, sich ihr statt dem Text zu widmen, wollte sie gerade nach der Schlafbrille greifen, als das Läuten des Telefons die Stille in ihrem Schlafzimmer zerriss. Leah zuckte zusammen und sah zu Timothy hinüber. Was, wenn McGregor dran ist? Du hast heute bei tausend Leuten die Nachricht hinterlassen, dass du ihn dringend sprechen möchtest. Na und wenn schon? Was wäre schlimm daran? Nahm Timnicht auch seine Arbeit mit ins Bett? Sweetie, du beschummelst dich selbst , flötete die innere Stimme. Der Artikel war bereits im Druck, McGregor hatte seine Chance vertan, jetzt konnte sie nichts mehr daran ändern.
    »Willst du nicht endlich drangehen?«, hörte sie ihren Mann hinter seinen Druckfahnen murmeln, also ergriff sie mit zitternder Hand den Hörer und benötigte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass das verzweifelte Schluchzen am anderen Ende der Leitung von ihrer Mutter kam. Jeglicher Gedanke an McGregor, an ihren Job oder an Timothy verflüchtigte sich wie Wasser in der Wüste.
    »Was ist los, Ma?«
    Jetzt schaute Timothy von seinen Unterlagen hoch – zum ersten Mal, seit er im Bett lag. Und er sah, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war.
    »Bin gleich da.«
    Bevor Timothy seine rechte Augenbraue heben und fragen konnte, was denn los sei, stammelte Leah: »Mein Vater ... er liegt im Sibley Memorial Hospital auf der Intensivstation ... Herzinfarkt.«
    »Shit«, entfuhr es Timothy, der solche Worte eigentlich immer vermied. Mist war bei ihm das Äußerste, wenn es darum ging, Unmut zu artikulieren. Gehörigen Unmut sogar.
    Leah zog sich rasch an.
    »Soll ich nicht mitkommen?«
    »Und wer bleibt bei Michael? Ich ruf dich von dort aus an.«
    Bis heute konnte sich Leah nicht an ihre Fahrt zur

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