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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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der Pilot ihren inneren Sermon. Leah kniff die Augen zusammen und erkannte die Umrisse eines Schiffs am Horizont. Das also war die »SeaSpirit«, auf der sie die folgenden Tage verbringen sollte. Sie hatte vorhin schon eine halbe Packung Tabletten gegen Übelkeit geschluckt, was sich allein für den Flug mit dieser Schleuder bezahlt gemacht hatte ... Doch der Gedanke an das schaukelnde Schiff in den Wellen torpedierte allmählich die Wirkung des Mittels. Es fiel Leah zum Glück nicht schwer, an etwas anderes zu denken. Zum Beispiel an das Abseilen aus einem fliegenden Hubschrauber mit einer Winde ... Wenn der Karabiner des Seils vorzeitig seinen Dienst quittierte, würde sie sich irgendwelche Knochen brechen oder, schlimmer noch, im eisigen Ozean versinken. Allerdings nahm sie nicht an, dass es ihr gelingen könnte, neben ein solch großes Schiff zu fallen.
    Sie erkannte einen kleinen Punkt, der sich vom Schiff löste und sich durch das Wasser auf den Helikopter zubewegte. Eine böse Ahnung stieg in ihr auf. »Was ist denn das?«
    »Das ist das Schlauchboot, das Sie aufnehmen wird.«
    Leah blickte den Mann entsetzt an. »Schlauchboot?«
    »Wer auch immer den Trip für Sie organisiert hat, hat Sie verdammt schlecht unterrichtet. Ist Ihre Tasche wenigstens wasserdicht?«
    »Vergessen Sie die Tasche, wieso Schlauchboot?«, hauchte Leah.
    »Ganz einfach – sehen Sie die Wellen?«
    Leah erschien die Frage absolut überflüssig. Die Riesendinger waren genau das Problem!
    »Es ist zu windig. Und wenn das Seil irgendwo an der ›SeaSpirit‹ hängen bleibt, dann übt sich der Heli im Tauchen, und mit ein wenig Glück spielen wir noch eine Runde Schiffe versenken.«
    Leah schluckte. Und ihr Magen grüßte zurück. Sie war nicht mehr in der Lage, etwas zu sagen, sonst hätte sie FishGoods Anzug ruiniert. Erst Seilwinde, dann Schlauchboot. Richtig klasse. Einmal in ihrem Leben hatte sie sich von Timothy dazu überreden lassen, mit ihm im Schlauchboot eine Runde zu drehen. Sie hatte sich zunächst geweigert, doch Tim war sofort eingeschnappt, weil sie seine Künste als Steuermann anzuzweifeln schien. Er behauptete, er würde sie über den Lake George chauffieren, als ob sie in ihrem Chevy säße.
    Sie hatte sich überreden lassen.
    Doch sie hatte sich geweigert, ihm danach beim Ausspritzen des Bootes zur Hand zu gehen. Nie mehr würde sie in so ein Ding steigen, das war ihr einziger Gedanke gewesen, während sie am Strand auf dem Rücken lag, bis auch ihr Magen begriff, dass sie sich wieder auf festem Boden befand.
    Panik stieg in Leah auf wie ein graues, glibberiges Ungeheuer, das von ihren Eingeweiden aus die Kontrolle über den Rest des Körpers erlangte. »O. k., zurück nach Kodiak, das war’s.«
    Ihr mitleidloser Freund von der Fischindustrie fing tatsächlich an zu lachen. »Schon gut, die meisten haben Panik, aber in fünf Minuten ist alles vorbei!«
    Dem wagte sie nicht zu widersprechen. Im Gegenteil. Das war genau ihre Befürchtung.
    Das orangefarbene Schlauchboot war jetzt gut zu erkennen, sie konnte zwei Männer darin ausmachen. Der Helikopter verringerte seine Geschwindigkeit und schwebte etwa zwanzig Meter über den weißgefleckten Wellenkämmen. Das Schlauchboot befand sich nun genau unter ihnen.
    Mr FishGoods schob sich wenig galant an Leah vorbei und griff nach ihrer Tasche. Er befestigte die Trageschlaufen am Karabinerhaken eines Seils. Kaum machte es »Klack«, öffnete er auch schon die seitliche Schiebetür des Helikopters.
    Es gibt Momente im Leben eines Menschen, die sind von kurzer, aber tiefer Selbsterkenntnis geprägt. Als der Wind durch die geöffnete Tür des Helikopters pfiff, erlebte Leah einen solchen Moment: Ich will nach Hause!, durchzuckte es sie klar und deutlich. Es war etwas ganz anderes, auf festem Boden durch eine solche Tür einzusteigen, als sich etliche Meter über gischtsprühenden Wellenbergen durch dieselbe Tür abzuseilen. Doch sie hatte noch Zeit. Zunächst war ja ihre Tasche an der Reihe.
    FishGoods bewegte sich ohne jegliche Anzeichen von Furcht neben der offenen Tür. Wahrscheinlich waren seine Eltern Ninjas oder Trapezkünstler, und Leah revidierte wieder ihre Meinung. Sie hasste ihn.
    FishGoods hantierte an den Griffen der Winde, warf die Tasche hinaus, und Leah sah, wie das Seil Meter um Meter abgespult wurde. Als die Tasche unten angekommen war, drückteer auf einen Knopf der Winde. Das Seil wurde schnell aufgewickelt, und wenige Sekunden später sprang der leere Haken

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