Lied der Wale
ihnen gesellt hatte.
»Darüber kann man geteilter Meinung sein«, sagte Steve. Leah entging nicht die Spannung, die in der Luft lag.
»Wieso verstoßt ihr gegen das Gesetz? Sagtet ihr nicht, ihr seid Forscher?«
Es war Govind, der nun das Wort ergriff. »Wir schneiden nicht ständig irgendwelche Netze oder Leinen ab. Das hier war das erste Mal. Wir fahren jetzt fünf Jahre zur See. Und wir haben nie was Illegales gemacht. Aber wenn du den hundertsten verendeten Delfin aus einem dieser Netze oder von einer dieser Leinen befreist, kommt irgendwann der Punkt, wo du dich entscheiden musst. Befolgst du weiter Gesetze, oder tust du das Richtige?«
Die beiden Schlauchboote auf dem Monitor kreisten jetzt am Heck des Fischtrawlers. Man sah, wie sich aus einem der Boote jemand gefährlich weit herauslehnte und im Wasser hantierte. Hätte Leah nicht gewusst, dass er im Begriff war, die Fangleine durchzuschneiden, sie hätte geglaubt, der Mann wollte sich aus dem Boot stürzen. Die Boote verschwanden immer wieder in den Wellentälern.
»Jetzt. Eben hab ich das Seil gekappt.« Leah merkte, wie in Masaos Stimme Stolz mitschwang.
Die Kamera schwenkte einmal entlang der »Shaqua Soul« , als sich die Schlauchboote hastig entfernten. Man konnte förmlich sehen, wie in Leahs Kopf die Zahnräder ratterten. »Hab ich das verpennt, oder trägt das Schiff keinen Schriftzug? Hab nirgendwo den Namen lesen können. Und hat nicht jedes Schiff eine Länderflagge?«
»Hundert Punkte«, ergriff Masao das Wort. »Die ›Shaqua Soul‹ ist ein Piratenfischer. Damals fuhr sie angeblich unter derFlagge von Honduras. Derzeit weiß man’s nicht so genau. Wir vermuten Belize.«
Steve unterbrach ihn. »Mit ›Piratenfischer‹ meint er Fischer, die mit industriellen Fangschiffen unter einer Billigflagge fahren, das heißt, einem Land, das den Fischereiabkommen nicht beitritt. Die halten sich weder an Fangquoten noch an ausgewiesene Fanggründe. Außerdem kontrollieren die Billigflaggenstaaten die Aktivitäten ihrer Schiffe nicht.«
»Das Gleiche also wie mit den Öltankern.« Leah befand sich auf einigermaßen vertrautem Terrain.
»Richtig, die haben nicht mal einen TÜ V für Schiffe.«
Govind fuhr fort: »Der Staat gibt denen zwar finanzielle Unterstützung, damit niemand durch die Umstellung der Fangmethoden pleitegeht, nur stellen die schnell fest, dass sie mit Treibnetzen nach wie vor viel mehr Kohle machen. Und wenn Länder wie zum Beispiel Honduras, Belize, Panama oder St. Vincent ihre Flagge an jeden Schiffsbetreiber verkaufen, ist das ein prima Deal: Die Klipper unterliegen kaum technischen Kontrollen, und kein Hahn kräht mehr nach irgendwelchen Fischereiabkommen.«
»Jede Fischfirma kann also ihre Schiffe unter irgendeiner beliebigen Flagge fahren lassen«, kommentierte Leah.
»Manchmal muss man noch ein paar Briefkastenfirmen dazwischenschalten – aber im Prinzip schon.«
»Und woher kennt ihr den Namen des Schiffs, wenn er nicht dransteht?«
Masao und Govind grinsten.
»Recherche. Wir haben inzwischen eine ganz gute Datenbank über Piratenfischer. Man schätzt, dass es über tausend gibt. Von zweihundertfünfzig haben wir die Daten. Weitere zweihundert haben wir auf dem Kieker.«
»Und was macht ihr mit den Infos?«
»Wir schanzen sie den Leuten zu, die sie sinnvoll nutzen.«
»So, so, verstehe.« Leah schaute gebannt auf den Bildschirm, wo die Schlauchboote gerade zur »SeaSpirit« zurückkehrten, dann verdeckte das Heck die Sicht. Wenig später kletterte Govind über die Reling. Das Prozedere kannte Leah nun schon aus eigener Erfahrung: Alle raus aus dem Boot über die Jakobsleiter, und der Gewinner durfte mit dem Zodiac Aufzug fahren. Leah dachte an ihre durchnässte Ankunft zurück, und es schüttelte sie.
Aber plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit wieder von den Bildern auf dem Monitor in Anspruch genommen, denn die »Shaqua Soul« war der »SeaSpirit« bedrohlich näher gekommen.
»Die fanden die Aktion nicht sonderlich witzig«, erklärte Govind, »die ›Shaqua Soul‹ steuerte einfach steuerbord neben uns.«
»Und ich hing unten zwischen den Schiffen in meinem Zodiac und fühlte mich wie Knoblauch in der Presse«, ergänzte Masao. »Sam und David waren zu der Zeit noch im Wasser. Sie haben sich mit ihrem Boot zurückfallen lassen, aber für mich ging’s um Sekunden.«
Der Fischtrawler streifte die »SeaSpirit« beinahe.
»Joe stand damals am Ruder, ich rief ihm zu, dass Masao gleich zerquetscht werden
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