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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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würde. Joe musste sich also entscheiden.« Leah hörte die Aufregung in Govinds Stimme. »Er riss das Ruder nach Steuerbord, sodass die ›SeaSpirit‹ die ›Shaqua Soul‹ am Bug wegdrückte und den Abstand zwischen den Booten vergrößerte. Da siehst du es.«
    Auf dem Film war ein Ruck zu sehen, die Kamera schwenkte um 180 Grad, und man erkannte, wie der Bug der »SeaSpirit« den der »Shaqua Soul« berührte und beide Schiffe dann langsam wieder auseinanderdrifteten. Sie näherten sich einander erneut, dann wurde die Kamera zur Seite gerissen.
    »Tja, die ›Shaqua Soul‹ hat sicher eine Beule davongetragen, denn ihr Rumpf war nicht verstärkt.«
    »Dafür hab ich keine – mein Rumpf ist noch weniger verstärkt ...«, fügte Masao hinzu.
    »Habt ihr Anzeige erstattet?«
    »Bei wem, Leah?«, schaltete Steve sich wieder ein. »Wir hatten keine Ahnung, zu welchem Fischereikonzern die ›Shaqua Soul‹ gehörte. Wir haben’s erst erfahren, als die FishRow Inc. die Pressemitteilung über den Ticker jagte, wir hätten eines ihrer Schiffe gerammt.«
    »Und ihr habt nicht reagiert?«
    »Wenn wir auf jeden Quatsch, der über uns berichtet wird, reagieren wollten, bräuchten wir zwei Kräfte mehr an Bord.«
    V erklemmte Ziege. Hatte wahrscheinlich ein oder zwei Bälger, denn der Bauch stand ein kleines bisschen hervor. Sam wäre gerne bereit gewesen, diesen Makel zu übersehen, doch nach dem Vorfall in der Messe hatte er die Reporterin rückwirkend auf eine Drei bis Vier eingestuft. Zumindest vorübergehend.
    »Die Mutti ist verrückt nach mir, sie weiß es nur noch nicht«, erläuterte er Joe, mit dem er es sich am Vorschiff bequem gemacht hatte. »Deine Zwanzig und noch mal Zwanzig drauf.« Nur selten kam es vor, dass es an Bord so gut wie nichts zu tun gab, doch wenn das mal der Fall war, dann gelang es Sam meistens sofort, einen von der Mannschaft zu einer kleinen Pokerpartie zu überreden, hatte er sich doch den Ruf des unbesiegbaren »Mister Cool« erworben – ein Titel, den es ihm auf der »SeaSpirit« unbedingt abzujagen galt. Und Joe hatte ein Full House, Könige mit Damen, also legte er noch mal zwanzig drauf und zeigte dem Greenhorn sein Wahnsinnsblatt.
    »Schätze, diesmal hast du nur geblufft, Sammyboy.«
    »Schätze, das gehört mir!«
    Sam blätterte vier Asse auf den Tisch und wollte gerade den Pot für sich einholen, als Joes Pranke auf seinem Unterarm landete. »Momentchen mal ...«
    »Wieso? Asse schlagen Full House!«
    Was wollte dieser Ignorant von ihm? Das Wort hatte er bei einem Streit mit Steve aufgeschnappt und schnell im Wörterbuch nachgelesen. Mit der größten Selbstverständlichkeit versuchte Sam erneut, das ihm rechtmäßig zustehende Geld einzusammeln, als ihn Joe stoppte. Diesmal jedoch nur mit einer minimalen Handbewegung, die völlig ausreichte, um seine Karten aufzudecken, die er kurz zuvor abgeworfen hatte. Darunter befand sich ein Ass.
    Sam spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Er verstand die Welt nicht mehr.
    »Du wirfst ein Ass weg? Keine Sau tauscht drei Karten und wirft ein Ass weg!«
    »Ich polier dir gleich die Fresse, du verdammter Hurenbock. Ich will alles zurück, was du bis jetzt gewonnen hast, raus damit!« Wenn Joe sich aufregte, dann fingen seine Ohren an, sich mit Blut anzureichern, und da sie im Moment dunkellila glänzten, konnte man davon ausgehen, dass er mehr als sauer war.
    »Wieso, wer sagt, dass ich dich vorhin auch beschissen hab?! Kannst du’s beweisen? Nix kannst du beweisen!«
    Für einen kurzen Augenblick war es ruhig, dann packte Joe Sam am Kragen und hob ihn zwanzig Zentimeter über den Boden.
    Sam wusste, wenn er Joe nicht sofort die Kohle gab, würde er höchstwahrscheinlich als Haifutter über Bord gehen. Ausgerechnet jetzt musste die Frusttante von der Zeitung plötzlich dastehen.
    »Jiu-Jitsu!« Sam zwinkerte in der Luft baumelnd Leah zu. »Ich bring King-Kong hier gerade ein paar neue Tricks bei.«
    Joe sah über die Schulter, wie die Reporterin ihnen amüsiert zuschaute, und ließ los.
    »Wir sind Kumpels«, fuhr Sam fort und steckte Joe eine Faust voll Dollars in die Brusttasche, »wie oft muss ich dir noch sagen, du brauchst dafür nicht zu bezahlen.«
    Leah sah Sam hinterher, wie er stolz erhobenen Hauptes von dannen marschierte, und lächelte Joe zu, während sie zur Reling schlenderte und sich auf dem hölzernen Handlauf abstützte. Wie auf einem Bild von Edward Hopper teilte der Horizont die Welt schnurgerade in oben und unten.

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