Lied der Wale
Delfinarium, doch dies hier in freier Natur zu beobachten, war etwas völlig anderes. Sie hätte nie gedacht, dass ein solcher Kontakt zu Tieren in Freiheit möglich sei. Besonders faszinierte sie, dass Jeroha McGregor nicht in die Tiefe zog, als ob sie wüsste, dass ihr Begleiter ihr dorthin nicht folgen konnte.
»Wie du gesehen hast, ist Jeroha bereits markiert«, hörte sie Govind sagen. »Sie trägt einen unserer modernsten Sender in ihrer Fettschicht. Einen solarbetriebenen Transponder, die wurden ursprünglich von Vogelkundlern entwickelt, die sie Greifvögeln umbanden, um deren Routen genauer zu studieren. Hab sie einbisschen umgebaut. Ein Transponder nimmt das von einer Sendestation ausgehende Funksignal auf, verstärkt es und schickt es auf einer anderen Frequenz wieder zurück. Jerohas Transponder hat den Vorteil, dass er mit extrem wenig Energie auskommt und der Akku durch Solarzellen immer wieder aufgeladen wird.«
Nun war Leahs Aufmerksamkeit ganz auf Govind gelenkt. »Wo sind die Solarzellen? Habt ihr sie an die Flossen getackert?«
Govind lachte. »Nein. Aus dem Einschussloch in der Schwarte, in dem der Transponder steckt, hängt ein winziger Streifen Solarzellen heraus. Die laden sich auf, wenn der Wal sich an der Oberfläche befindet. Und sollten sie mal abreißen, dann funktioniert der Sender immer noch ein Jahr, bis der Akku leer ist. David checkt gerade, ob die Solarzellen noch voll funktionieren.«
Leah führte das Fernglas wieder an die Augen.
»Ich geh rein, die Rechner warten«, verabschiedete sich Govind.
Sie nahm Govinds Worte kaum noch wahr, so sehr faszinierte es sie, was sich dort im Meer abspielte. McGregor ließ sich immer noch durchs Wasser ziehen. Einmal sah Leah etwas in der Sonne glitzern, was eindeutig nicht zu Jeroha gehörte. Das Wal-Piercing schien offenbar noch intakt zu sein.
N ach einem Mittagessen, das sie erst eingenommen hatte, als sie es vor Hunger kaum noch aushielt und sich von dem Schauspiel losreißen musste, saßen sie und Steve in McGregors »Vorzimmer«, einem Raum mit großem Tisch in der Mitte und ein paar hölzernen Schränken. Leah hatte ihr Satellitenhandy auf den Tisch gelegt, um das Gespräch mit der Diktierfunktion aufzuzeichnen.
Steve war wie immer äußerst charmant zu ihr, vielleicht eine Spur zu viel des Guten. Nach Sams unbeholfenen Avancen warLeah achtsamer geworden. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Steves Interesse an ihr ebenfalls über das rein berufliche hinausgehen könnte; zumindest schienen das seine Augen zu signalisieren, die immer wieder die ihren suchten. Es war kein prüfender oder abschätzender Blick, wie sie ihn von Männern kannte, die sich auf ein Interview mit ihr einließen ohne die Gewissheit, dass das Resultat ihnen zum Vorteil gereichen würde.
Nein, Steves Blick schien sich des Ergebnisses ihrer Reportage sicher zu sein; er genoss Leahs Gesellschaft, und auf seine dezente Art wollte er wohl andeuten, dass sie ihm womöglich gefiel. Doch im Übrigen war er in keiner Weise aufdringlich, wie, außer Sam, niemand von der Crew, was Leah sehr zu schätzen wusste.
Steve begann das Interview mit einer Gegenfrage: Es interessierte ihn, wie Leah darauf gekommen war, gerade über sie zu schreiben.
Und sie bemühte sich, gelassen zu bleiben. »Dass wir das Thema Wale aufgreifen wollten, war schon lange klar. Unser Chefredakteur hat einen Sohn. Der Junge ist sechzehn und hat eine neue Freundin. Die fährt nicht nur auf ihn, sondern auch auf Umweltschutz ab. Seitdem gab’s zum Frühstück ökologische Endlosdebatten. Mein Trip hierher dient also auch der Wiederherstellung des Hausfriedens, sonst hätte ihm sein Filius den Garaus gemacht«, log sich Leah heraus, bestrebt, die Stimmung etwas aufzulockern.
»Und warum bist du gerade hier und nicht bei den Kollegen, zum Beispiel auf der ›Rainbow Warrior‹?«
Leah konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Über Greenpeace wird so viel berichtet. Außerdem wollte ich zu einer Organisation, die sich ausschließlich mit Walen beschäftigt. Und zu einer, die mit eigenen Schiffen arbeitet.«
Gut gemacht: Steve schien mit ihrer Antwort zufrieden.
Als Leah sich dann nach den Ursprüngen der SeaSpirit-Foundation erkundigte, war Steve nicht mehr zu bremsen: Vor zehn Jahren war sie ursprünglich von ihm ins Leben gerufen worden. Als Student an der UCLA war er dauernd pleite wie die meisten seiner Kommilitonen und ständig auf der Suche nach Teilzeitjobs. Mit der
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