Lied des Schicksals
resignierten Schulterzucken, dass Agnes sich erlaubte, nach dem Grund zu fragen, weshalb sie ein Zuhause verlieÃen, das sie doch offenkundig liebten.
»Ich bin nach Australien gegangen, um ein Vermögen für meine Söhne zu schaffen, da der Titel meines Vaters und sein Besitz an meinen älteren Bruder gehen würden. James ist jedoch vor zwei Jahren durch einen Sturz vom Pferd zum Krüppel geworden. Er war immer ein sehr aktiver Mann und hasste es, ans Bett oder den Rollstuhl gefesselt zu sein, nicht reiten zu können und sich selbst bei den grundlegendsten Bedürfnissen von Bediensteten helfen lassen zu müssen. Vor sieben Monaten konnte er seine Hilflosigkeit nicht länger ertragen. Durch seinen Tod bin ich zum Erben meines Vaters geworden. Der verlangt nun, dass ich zurückkehre, um meine Pflichten hinsichtlich Titel und Besitz zu erfüllen.«
»Das tut mir sehr leid«, murmelte Agnes, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
»Wir müssen akzeptieren, was uns das Leben bringt. Kommen Sie, ich zeige Ihnen jetzt das Haus.«
Das Innere des Hauses überraschte Agnes genauso, wie es das ÃuÃere getan hatte. Nur an geringfügigen Unterschieden in den Deckenhöhen konnte man erkennen, welche Räume später zu dem ursprünglichen Vier-Zimmer-Haus hinzugefügt worden waren. In jedem Zimmer spürte Agnes die Hand einer Frau, die aus einem Haus ein Heim gemacht hatte. Da die Raineys auÃer ihren persönlichen Dingen nichts mitzunehmen brauchten, hatten sie alles andere für die neuen Bewohner im Haus gelassen.
»Mrs Rainey war sicher sehr traurig, dass sie ihr Haus verlassen musste«, sagte Agnes zu Larry, als Mr Rainey sie einige Minuten alleine lieÃ. »Ich kann ihre liebevolle Hand in jedem Zimmer erkennen.«
»Glaubst du, dass du dieses Haus auch lieben wirst?«
Als Agnes darauf die Stirn runzelte, war er zunächst beunruhigt. Doch dann fragte sie ihn ganz unsicher, da sie offenbar nicht wusste, wie er reagieren würde: »Hältst du mich für albern, Larry, wenn ich sage, dass ich irgendwie das Gefühl habe, ich gehöre hier hin? Als ob das schon immer unser Zuhause hat sein sollen?«
Statt einer Antwort packte er sie mit seinen kräftigen Armen und hob sie hoch. »Ich liebe dich, Agnes Benedict.«
Sie boxte ihn leicht gegen die Schulter. »Lass mich runter. Mr Rainey könnte jeden Augenblick zurückkommen.«
Larry stellte sie erst wieder auf die FüÃe, nachdem er ihr einen herzhaften Kuss gegeben hatte. Agnes strich ihre Röcke glatt, brachte ihre Haare mit den Fingern wieder in Ordnung und sah ihren Mann kichernd von der Seite an. Oh ja, sie würden in diesem Haus sehr glücklich werden.
Die Benedict-Kinder machten einen ziemlichen Wirbel um die vielen Schlafzimmer und stritten lang und breit darüber, wer welches Zimmer haben sollte. Louisa bekam zum ersten Mal in ihrem Leben ein eigenes Zimmer. Auf Langsdale hatte sie eins mit den Zwillingen May und Matthew geteilt. Die beiden wollten auf keinen Fall getrennt werden. Da ihre Kindheit eh in wenigen Jahren vorbei sein würde, war Agnes einverstanden. Der Zeitpunkt, wo man sie aus Gründen der Schicklichkeit trennen müsste, würde früh genug kommen. Die vier übrigen Jungen teilten sich zwei Zimmer.
Das Elternschlafzimmer und das Zimmer, das Louisa zugeteilt worden war, lagen in einem Anbau auf einer Seite des ursprünglichen Hauses, die übrigen Schlafzimmer befanden sich in einem Anbau auf der anderen Seite. Die vier Räume des Haupthauses dienten nun als Salon, Esszimmer und Wohnzimmer und als Büro. Dort würde die gesamte Buchführung für die Farm erledigt werden.
Louisa stellte enttäuscht fest, dass in dem Büro nichts von der weiblichen Hand zu spüren war, die die Wohnräume so behaglich gemacht hatte. Dafür hatte es jedoch ein Fenster mit Blick auf den Fluss, der an dieser Stelle gerade einen weiten Bogen machte. Sofort begann sie zu planen, wie man den Raum verschönern könnte. Sie würde ihren Vater fragen, ob man die Wände nicht hellgrün streichen könnte, damit das Zimmer heller wirkte. Dazu noch hübsche Chintzgardinen am Fenster und ein paar Bilder an den Wänden, dann würde es ein angenehmer Arbeitsplatz sein.
Neben der Buchhaltung sollte Louisa die Aufgabe übernehmen, die Zwillinge zu unterrichten. Wenn man den Schreibtisch näher ans
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