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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Junge stieg aus und zögerte kurz, mit der Hand an der Tür.
    »Ich glaube, Sie irren sich«, sagte er. »Wenn ich den ganzen Sommer am Hafen gearbeitet haben werde, empfinde ich aber vielleicht genauso. Vielleicht. Doch ich hoffe nicht. Gute Nacht.« Er schloß die Tür.
    Dennison blieb noch einen Augenblick sitzen und überlegte, ob er den Jungen zurückrufen und ihm sagen solle, daß er nicht einmal mehr nächste Woche, geschweige denn den ganzen Sommer, dort arbeiten würde. Nein, dachte er. Soll er das Wochenende genießen. In diesem Jahr sind Jobs in den Semesterferien schwer zu finden. Hat keinen Sinn, ihm die Ruhe zu rauben.
    Der Junge verschwand im Haus. Dennison ließ den Wagen wieder an. Er begriff plötzlich, daß der Junge ihn gar nicht gefragt hatte, wofür er Raumschiffe hielt.
    »Laster«, murmelte er, halb zu sich selbst, halb an den verschwundenen Jungen gewandt. »Große, scheußliche Lastkarren.«
    Er fuhr an und beschloß, noch das eine oder andere Glas Bier zu trinken, bevor er heimfuhr.
     
    »Night Shift
Copyright, ©, 1973, by Ultimate Publishing Company, Inc.
From Amazing Science Fiction, January 1973.
     
     

Ein Mann hört auf zu singen
     
     
    Keith war unsere Kultur, das wenige, das uns geblieben war. Er war unser Poet und unser Troubadour, und seine Stimme und seine Gitarre waren unsere Brücken zur Vergangenheit. Er war auch Zeitausflügler, aber das störte keinen besonders, bis Winters daherkam.
    Keith war unser Gedächtnis. Aber er war auch mein Freund.
    Jeden Abend nach dem Essen spielte er für uns. Gleich außer Sichtweite des Gemeinschaftshauses gab es eine kleine Lichtung und einen Felsen, auf dem er gerne saß. Dorthin schlenderte er, wenn es dunkel wurde, mit seiner Gitarre und setzte sich so, daß er nach Westen blickte. Immer nach Westen; die Städte waren östlich von uns gewesen. Weit östlich, gewiß, aber Keith wollte nicht in diese Richtung schauen. Wir übrigens auch nicht, um die Wahrheit zu sagen.
    Nicht alle kamen zu den abendlichen Konzerten, aber es war stets eine ziemlich große Menge, sagen wir, drei Viertel der Leute in der Kommune. Wir setzten uns grob im Kreis auf den Boden oder legten uns ins Gras, allein oder zu zweit. Und Keith, unser lebendes HiFi in Drillich und Leder, strich sich vage belustigt den Bart und begann zu spielen.
    Er war auch noch gut. Damals, vor der Verwüstung, war er im Begriff gewesen, sich einen Namen zu machen. Er war vor vier Jahren in die Kommune gekommen, um sich auszuruhen, alte Freunde zu besuchen und einen Sommer lang dem Kampf auf der Musikszene zu entgehen. Aber er hatte zurückkehren wollen.
    Dann kam die Verwüstung. Und Keith war geblieben. Es gab nichts mehr, wohin man zurückgehen konnte.
    Seine Städte waren Friedhöfe voll von Toten und Sterbenden, ihre Türme geschmolzene Grabsteine, die nachts leuchteten. Und die Ratten – menschliche und tierische – waren überall sonst.
    In Keith lebten diese Städte noch. Seine Lieder handelten alle von der alten Zeit, waren bittersüße Gesänge voller verlorener Träume und Einsamkeit. Und er sang sie mit Liebe und Sehnsucht. Keith spielte auch Wunschmelodien, aber zumeist blieb er bei seiner Musik. Viel Folk, viel Folk-Rock, und ein paar reine Rock-Sachen und Schlager. Lightfoot und Kristofferson und Woody Guthrie waren besondere Lieblinge. Und ab und zu spielte er seine eigenen Kompositionen, die er in den Tagen vor der Verwüstung geschrieben hatte. Aber nicht oft.
    Doch zwei Lieder spielte er jeden Abend. Er fing immer an mit ›They Call the Wind Maria‹ und hörte auf mit ›Me and Bobby McGee‹. Ein paar von uns bekamen das Ritual satt, aber niemand erhob jemals Einwände. Keith schien zu glauben, daß die Lieder irgendwie zu uns paßten, und niemand wollte ihm widersprechen.
    Das heißt, bis Winters daherkam. Das war im vierten Jahr nach der Verwüstung an einem Spätherbstabend der Fall.
    Sein Vorname war Robert, aber niemand gebrauchte ihn jemals, obwohl wir uns sonst alle mit dem Vornamen anredeten. Er stellte sich als Leutnant Robert Winters vor, an dem Abend, als er ankam, in einem Jeep mit zwei anderen Männern. Aber seine Army gab es nicht mehr, und er suchte Zuflucht und Hilfe.
    Die erste Begegnung war angespannt. Ich erinnere mich, daß ich große Angst verspürte, als ich den Jeep kommen hörte, und mir, während ich wartete, an den Jeans die Handflächen abwischte. Wir hatten schon früher Besuch bekommen, nie einen sehr netten.
    Ich wartete allein.

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