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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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wollte?«
    »Nein«, sagte er lächelnd, aber ohne den Kopf zu bewegen. »Das Chronin habe ich gefunden. Es gehört mir. Und es ist zuwenig übrig, um es zu teilen. Tut mir leid, Gary, nicht persönlich gemeint. Aber du weißt, wie es ist.«
    »Ja«, sagte ich. »Ich weiß, wie es ist. Ich wollte es ohnehin nicht haben.«
    »Das wußte ich«, erwiderte er.
    Zehn Minuten dichtes Schweigen. Ich brach es mit einer Frage: »Stört dich Winters?«
    »Eigentlich nicht«, sagte er. »Er scheint in Ordnung zu sein. Es waren nur die Uniformen, Gary. Wenn diese verdammten Dreckskerle mit ihren Uniformen nicht gewesen wären und das, was sie getan haben, könnte ich zurück. Zu meinem Fluß und meinem Gesang.«
    »Und zu Sandi«, sagte ich.
    Sein Mund verzog sich zögernd zu einem Lächeln.
    »Und zu Sandi«, nickte er. »Und ich würde nicht einmal Chronin brauchen, um meine Verabredungen einzuhalten.«
    Ich wußte nicht, was ich darauf sagen sollte, also sagte ich gar nichts. Schließlich ließ sich Keith müde nach vorn rutschen und legte sich unter den Bäumen hin. Eswar eine klare Nacht. Durch die Äste konnte man die Sterne sehen.
    »Manchmal, nachts hier draußen, vergesse ich es«, sagte er leise, mehr zu sich selbst als zu mir. »Der Himmel sieht noch genauso aus wie vor der Verwüstung. Und die Sterne kennen den Unterschied nicht. Wenn ich nicht nach Osten schaue, kann ich beinahe so tun, als wäre es nie geschehen.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Keith, das ist ein Spiel. Es ist geschehen. Du kannst das nicht vergessen. Du weißt, daß du es nicht kannst. Und du kannst auch nicht zurück. Auch das weißt du.«
    »Du hörst nicht zu, wie, Gary? Ich gehe zurück. Ich tue es wirklich.«
    »Du gehst zurück in eine Traumwelt, Keith. Und sie ist tot, diese Welt. Du kannst sie nicht am Leben erhalten.
    Früher oder später wirst du in der Wirklichkeit leben müssen.«
    Keith blickte noch immer zum Himmel hinauf, aber er lächelte sanft, als ich ihm widersprach.
    »Nein, Gary. Du siehst es nicht. Die Vergangenheit ist so wirklich wie die Gegenwart, weißt du. Und wenn die Gegenwart trostlos und leer ist und die Zukunft noch mehr, dann ist die einzige Rettung, in der Vergangenheit zu leben.«
    Ich wollte etwas sagen, aber er schien es nicht zu hören.
    »Damals in der Stadt, als ich klein war, habe ich nie so viele Sterne gesehen«, fuhr er halblaut fort. »Als ich das erstemal aufs Land kam, war ich, ich weiß es noch, ganz entsetzt darüber, wie viele zusätzliche Sterne sie genommen und in meinen Himmel gesteckt hatten. «Er lachte leise. »Weißt du, wann das war? Vor sechs Jahren, als ich aus der Schule kam. Und gestern nacht. Such es dir aus. Sandi war beide Male bei mir.«
    Er verstummte. Ich sah ihn eine Weile an, dann stand ich auf und bürstete mich ab. Es hatte nie einen Sinn. Ich konnte ihn nicht überzeugen. Und das Traurigste dabei war, ich konnte nicht einmal mich überzeugen. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht war das für ihn die Lösung.
    »Bist du schon mal im Gebirge gewesen?« fragte er plötzlich. Er sah schnell zu mir hinauf, wartete aber nicht auf eine Antwort. »Da war diese Nacht, Gary – in Pennsylvania, im Gebirge. Ich hatte den uralten, verbeulten Camper, und wir fuhren einfach so aufs Geratewohl herum.
    Und ganz plötzlich steckten wir im Nebel. Dichtes Zeug, grau wabernd, ganz geheimnisvoll und spukhaft. Sandi liebte so etwas, und ich auch. Aber mit dem Auto darin rumzufahren, war eine Quälerei. Ich fuhr also von der Straße, und wir nahmen zwei Decken mit und entfernten uns ein Stück.
    Es war aber noch früh. Wir lagen also nur auf den Decken und unterhielten uns. Über uns und meine Lieder und den großartigen Nebel und unsere Rundfahrt und ihre Schauspielerei und alles mögliche. Wir lachten auch und küßten uns, obwohl ich nicht mehr weiß, was wir so Lustiges gesagt haben. Nach ungefähr einer Stunde oder so zogen wir einander aus und liebten uns auf den Decken, langsam und ruhig, mitten in dem blöden Nebel.« Keith schob sich auf einen Ellenbogen und sah mich an. Seine Stimme klang gepreßt, verloren, verletzt, eifrig. Und einsam. »Sie war schön, Gary. Wirklich schön. Sie mochte es nie, wenn ich das sagte. Ich vermute, sie glaubte es nicht. Sie hörte gern, wenn ich sagte, sie sei hübsch. Aber sie war mehr als hübsch. Sie war schön. Ganz warm und weich und wie Gold, mit rotblonden Haaren und den seltsamen Augen, die entweder grün oder grau waren, je nach ihrer Stimmung. An

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