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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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fortsetzen konnte. Aber ich war nachdenklich, als ich zu den Feldern zurückging.
    Es gab natürlich einen Punkt, einen wichtigen, von dem ich Winters nichts gesagt hatte. Die Zeitausflüge. Wenn Keith vielleicht gezwungen gewesen wäre, sich mit dem Leben abzufinden, das er hatte, wäre er damit fertig geworden. Wie wir anderen auch.
    Aber Keith hatte eine Ausweichmöglichkeit; Keith konnte zurückgehen. Keith hatte seine Sandi noch, also brauchte er nicht neu anzufangen.
    Das erklärt viel, dachte ich. Vielleicht hätte ich es Winters erzählen sollen. Vielleicht.
     
    Winters schenkte sich diesen Singabend. Er und Crazy Harry hatten vor, am nächsten Morgen aufzubrechen, um im Westen auf die Suche zu gehen. Sie waren irgendwo, beluden ihren Jeep und schmiedeten Pläne.
    Keith vermißte sie nicht. Er saß auf seinem Felsen, gewärmt von einem Haufen lodernden Herbstlaubs, und sang den bitteren Wind nieder, der aufgekommen war. Er spielte hart und laut und sang traurig. Und als das Feuer ausgegangen war und die Zuhörer sich zerstreuten, nahm er Gitarre und Zigarrenkiste und ging zum Bach.
    Ich folgte ihm. Diesmal war die Nacht schwarz und bewölkt, und es roch nach Regen. Und der Wind war stark und kalt. Nein, er klang nicht nach Sterben. Aber er fegte durch die Bäume, schüttelte die Äste und riß die Blätter ab. Und er klang ... ruhelos.
    Als ich den Bach erreichte, krempelte Keith schon den Ärmel auf. Ich hielt ihn auf, bevor er die Spritze herausnahm.
    »He, Keith«, sagte ich und legte die Hand auf seinen Arm. »Langsam. Erst reden, ja?«
    Er blickte auf meine Hand und seine Spritze und nickte widerwillig.
    »Okay, Gary«, sagte er. »Aber kurz. Ich habe es eilig. Ich habe Sandi seit einer Woche nicht gesehen.«
    Ich ließ seinen Arm los und setzte mich hin.
    »Ich weiß.«
    »Ich habe versucht, lange damit auszukommen, Gar. Ich hatte nur Stoff für einen Monat, doch ich dachte, ich könnte länger auskommen, wenn ich nur einmal in der Woche einen Zeitausflug mache.« Er lächelte. »Aber es ist schwer.«
    Er nickte, legte die Kiste auf den Boden und zog seine Jacke fester um sich, um den Wind abzuhalten.
    »Zuviel, glaube ich«, sagte er zustimmend. Dann fügte er lächelnd hinzu: »Solche Menschen sind gefährlich.«
    »Hmmmm, ja. Vor allem für sich selber.« Ich sah ihn an, wie er frierend in der Dunkelheit kauerte. »Keith, was wirst du tun, wenn du nichts mehr hast?«
    »Wenn ich das wüßte.«
    »Ich weiß es«, sagte ich. »Dann wirst du vergessen. Deine Zeitmaschine wird kaputt sein, und du wirst heute leben müssen. Jemand anderen finden und neu anfangen. Nur könnte es leichter sein, wenn du gleich damit anfängst. Laß das Chronin eine Weile sein. Kämpf dagegen an.«
    »Fröhliche Lieder singen?« fragte er sarkastisch.
    »Vielleicht das nicht. Ich verlange nicht von dir, daß du die Vergangenheit auslöschst oder so tust, als hätte es sie nicht gegeben. Aber versuch, etwas in der Gegenwart zu finden. Du weißt, sie kann nicht so leer sein, wie du tust. So schwarz und weiß sind die Dinge nicht. Winters hatte teilweise recht, weißt du – es gibt immer noch gute Dinge. Du vergißt das.«
    »Tue ich das? Was vergesse ich?« , Ich zögerte. Er machte es mir schwer. , »Nun ... dein Singen macht dir noch Vergnügen. Das weißt du.
    Und es könnte andere Dinge geben. Es hat dir Spaß gemacht, selbst zu schreiben. Warum versuchst du es nicht mit ein paar neuen Liedern? Du hast nichts Nennenswertes geschrieben seit der Verwüstung.«
    »Daran habe ich gedacht. Du weißt nicht, wie oft ich daran gedacht habe, Gary. Und ich habe es versucht. Aber es kommt nichts.« Seine Stimme wurde auf einmal ganz leise. »Früher war es anders. Und du weißt, warum. Sandi saß jedesmal im Saal, wenn ich sang. Und wenn ich etwas Neues machte, etwas Eigenes, konnte ich sehen, wie sie lebhaft wurde. Wenn es gut war, wußte ich es, allein daran, wie sie lächelte. Sie war stolz auf mich und meine Lieder.« Er schüttelte den Kopf. »Es wirkt nicht mehr, Gary. Ich schreibe jetzt ein Lied und singe es, und ... na und ? Wen kümmert es? Dich? Ja, vielleicht dich, und hinterher kommen ein paar von den anderen zu mir und sagen: ›He, Keith, das hat mir gefallen.« Aber das ist nicht dasselbe. Meine Lieder waren wichtig für Sandi, so, wie ihre Schauspielerei für mich wichtig war. Und jetzt sind meine Lieder für keinen mehr wichtig. Ich sage mir dann, daß es darauf nicht ankommen sollte. Ich sollte meine eigene

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