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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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schwindeln mußte. Dann spielte er als Zugabe das Lied der Marineinfanterie, ohne das Zischen und Stöhnen ringsum zu beachten.
    Als er fertig war, klatschte Pete laut. Winters verbeugte sich, lächelte und reichte Keith die Gitarre mit einer übertriebenen Geste zurück.
    Keith war natürlich nicht so leicht unterzukriegen. Er nickte Winters zu, griff nach der Gitarre und spielte sofort ›Eve of Destruction‹.
    Winters erwiderte mit ›Welfare Cadillac‹. Oder versuchte es jedenfalls. Es stellte sich heraus, daß er den Text kaum kannte, also gab er schließlich auf und spielte statt dessen ›Anchors Aweigh‹.
    Das ging so die ganze Nacht hin und her, und alle anderen saßen dabei und lachten. Das heißt, eigentlich taten wir mehr. In der Regel mußten wir Winters bei seinen Liedern helfen, weil er kein einziges ganz konnte. Keith hielt sich natürlich ohne uns sehr gut.
    Es war einer der denkwürdigeren Abende. Das einzige, was er mit Keiths üblichen Konzerten gemein hatte, war, daß er mit ›They Call the Wind Maria‹ begann und mit ›Me and Bobby McGee‹ aufhörte.
    Aber am nächsten Tag war Keith bedrückt. Winters und er zogen sich noch ein bißchen auf, aber das Singen geriet eher wieder in die alten Bahnen. Und am Tag danach waren die Lieder fast alle von Keiths Art, mit Ausnahme einiger Wunschlieder von Winters, die Keith schwach und gleichgültig herunterspielte.
    Ich bezweifle, daß Winters begriff, was sich abspielte. Aber ich wußte es, und die meisten anderen kannten sich auch aus. Wir hatten das schon früher erlebt. Keith war wieder auf dem absteigenden Ast. Die Nachwirkung seines letzten Zeitausflugs verblaßte. Er begann sich wieder einsam und begierig und ruhelos zu fühlen. Er sehnte sich wieder nach seiner Sandi.
    Wenn er in diesen Zustand geriet, konnte man manchmal beinahe sehen, wie tief die Wunde war. Und wenn man es nicht sehen konnte, war es zu hören, wenn er sang. Laut und pulsierend in jedem Ton.
    Winters hörte es auch. Er hätte taub sein müssen, um es zu überhören. Nur glaube ich, daß er nicht verstand, was er hörte, und ich weiß, daß er Keith nicht verstand. Alles, was er verstand, war die Qual, die er hörte. Und sie beunruhigte ihn.
    Und da er eben Winters war, versuchte er etwas dagegen zu unternehmen. Er ging zu Keith.
    Ich war damals dabei. Es war mitten am Vormittag, und Keith und ich waren vom Feld hereingekommen, um eine Pause einzulegen. Ich saß auf dem Brunnen, mit einem Becher Wasser in der Hand, und Keith stand neben mir und redete. Man konnte erkennen, daß er bald wieder einen Zeitausflug unternehmen würde. Er war sehr niedergeschlagen, weit weg, und ich hatte Mühe, zu ihm durchzudringen.
    Mittendrin kam Winters lächelnd in seiner Army-Jacke daher. Sein Haus wuchs schnell, und das belebte ihn, und er und Crazy Harry hatten schon die erste ihrer ›Suchexpeditionen‹ geplant.
    »Hallo, Leute«, sagte er, als er zu uns an den Brunnen trat. Er hatte Durst, und ich gab den Becher weiter.
    Er trank und gab ihn mir zurück. Dann sah er Keith an.
    »Dein Gesang gefällt mir«, sagte er. »Den anderen auch, glaube ich. Du bist wirklich sehr gut.« Er grinste. »Auch wenn du ein anarchistischer Bastard bist.«
    Keith nickte.
    »Ja, danke«, sagte er. Er war nicht in der Stimmung für Späße.
    »Aber eines beschäftigt mich«, sagte Winters. »Ich dachte mir, ich kann das vielleicht mit dir besprechen und ein paar Vorschläge machen. Okay?«
    Keith strich seinen Bart und wurde ein bißchen aufmerksamer.
    »Okay. Nur los, Colonel.«
    »Deine Lieder. Mir ist aufgefallen, daß die meisten ziemlich . .. na, sagen wir, melancholisch sind. Schöne Lieder, gewiß, aber irgendwie deprimierend, wenn du verstehst, was ich meine. Vor allem angesichts der Verwüstung. Du singst zuviel von der alten Zeit und dem, was wir verloren haben. Ich glaube, das ist nicht gut für die Moral. Wir müssen aufhören, uns so stark an die Vergangenheit zu klammern, wenn wir jemals den Wiederaufbau schaffen wollen.«
    Keith starrte ihn an und lehnte sich an den Brunnen.
    »Du machst wohl Witze«, sagte er.
    »Nein«, erwiderte Winters. »Nein, ich meine es ernst.
    Ein paar fröhliche Lieder würden uns viel bringen. Das Leben kann trotzdem gut und lohnenswert sein, wenn wir uns anstrengen. Du solltest uns das mit deiner Musik sagen. Dich auf das konzentrieren, was wir noch haben. Wir brauchen Hoffnung und Mut. Gib sie uns.«
    Aber Keith nahm es ihm nicht ab. Er strich sich den Bart und

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