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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Befriedigung aus dem Komponieren ziehen, selbst wenn es sonst keiner tut. Ich sage mir das sehr oft. Aber mit dem Reden allein wird es nicht so.«
    Manchmal glaube ich, ich hätte in diesem Augenblick Keith sagen sollen, daß seine Lieder für mich das Wichtigste auf der ganzen Welt wären. Aber, verdammt, sie waren es nicht. Und Keith war ein Freund, und ich konnte ihm keine Lügen auftischen, selbst wenn er sie brauchte.
    Außerdem hätte er mir nicht geglaubt. Keith verstand es, die Wahrheit zu erkennen. Statt dessen tappte ich unsicher herum.
    »Keith, du könntest wieder so jemanden finden, wenn du es versuchen würdest. Es gibt Mädchen in der Kommune, Mädchen so gut wie Sandi, wenn du dich ihnen öffnen würdest. Du könntest eine andere finden.«
    Keith starrte mich ruhig an, eisiger als der Wind.
    »Ich brauche keine andere, Gary«, sagte er. Er griff nach der Zigarrenkiste, öffnete sie und zeigte mir die Spritze. »Ich habe Sandi.«
     
    In dieser Woche machte Keith noch zwei Zeitausflüge. Und jedesmal stürzte er mit fieberhafter Eile davon. Gewöhnlich wartete er eine gute Stunde nach dem Singen und verschwand dann diskret in Richtung des Baches. Aber nun brachte er die Kiste mit und verschwand, bevor noch die letzten Töne von ›Me and Bobby McGee‹ verklungen waren.
    Niemand sagte etwas, versteht sich. Wir wußten alle, daß Keith Zeitausflüge machte, und wir wußten alle, daß ihm das Chronin ausging. Wir verziehen ihm also und begriffen. Das heißt, alle begriffen, bis auf Pete, Winters' früherer Korporal. Er war, wie Winters und Crazy Harry, noch nicht eingeweiht. Aber an einem Abend beim Singen fiel mir auf, daß er neugierig auf die Zigarrenkiste vor Keiths Füßen starrte. Er sagte etwas zu Jan, dem Mädchen, mit dem er schlief. Und sie erwiderte etwas. Ich nahm also an, daß er eingeweiht worden war.
    Ich hatte nur allzu recht.
    Winters und Crazy Harry kamen auf den Tag genau eine Woche nach ihrer Abfahrt zurück. Sie waren nicht allein. Sie brachten drei junge Leute mit, einen Jungen und zwei Mädchen, die sie im Westen gefunden hatten, bei einem Rattenrudel, in Gesellschaft eines Rattenrudels. In Gesellschaft ist natürlich eine Beschönigung. Die jungen Leute waren Sklaven gewesen. Winters und Crazy hatten sie befreit.
    Ich fragte nicht, was mit den Ratten geschehen war. Ich konnte es mir denken.
    An diesem und am nächsten Abend gab es allerhand Aufregung. Die Jugendlichen hatten ein bißchen Angst vor uns, und es erforderte viel Aufmerksamkeit, sie davon zu überzeugen, daß es hier anders sein würde. Winters entschied, daß sie ihre eigene Unterkunft haben sollten, und er und Pete begannen ein zweites neues Blockhaus zu planen. Das erste war im Rohbau fast fertig.
    Wie sich herausstellte, sprachen Winters und Pete von mehr als einem Blockhaus. Mir hätte das klarwerden müssen, als ich Winters dabei ertappte, daß er Keith bei mindestens zwei Gelegenheiten sehr merkwürdig und nachdenklich beobachtete.
    Aber es wurde mir nicht klar. Wie alle anderen war ich damit beschäftigt, die Neulinge kennenzulernen und dafür zu sorgen, daß sie sich einlebten. Einfach war das nicht.
    So wußte ich nicht, was vorging, bis der vierte Abend nach Winters' Rückkehr kam. Ich war draußen und hörte Keith zu. Er war kaum mit ›They Call the Wind Maria‹ fertig und wollte gerade ein zweites Lied anfangen, als eine Gruppe von Leuten plötzlich in den Kreis trat. Winters führte sie an, dahinter kam gleich Crazy Harry mit den drei Jugendlichen. Und Pete war da, den Arm um Jan gelegt. Dazu einige andere, die nicht von Beginn an beim Konzert gewesen, sondern Winters aus dem Gemeinschaftshaus gefolgt waren.
    Keith nahm wohl an, sie wollten zuhören. Er begann zu spielen. Aber Winters unterbrach ihn.
    »Nein, Keith«, sagte er. »Nicht jetzt. Wir haben etwas zu klären, während alle zusammen sind. Wir müssen heute abend reden.«
    Keiths Finger wurden still, und die Musik verklang. Man hörte nur den Wind und das Knistern des brennenden Laubes. Alle sahen Winters an.
    »Ich möchte über Zeitausflüge reden«, sagte Winters.
    Keith legte die Gitarre weg und blickte auf die Zigarrenkiste am Fuß des Konzertfelsens.
    »Dann rede«, sagte er.
    Winters schaute sich im Kreis um und betrachtete die ausdruckslosen Gesichter, als wolle er sie abschätzen, bevor er anfing. Ich tat es ebenfalls.
    »Man hat mir gesagt, daß die Kommune über einen Vorrat an Chronin verfügt«, begann Winters. »Und daß du es

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