Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
Vom Netzwerk:
diesem Abend waren sie grau, glaube ich. Damit sie zum Nebel paßten.« Er lächelte, ließ sich zurücksinken und schaute wieder zu den Sternen hinauf. »Das Merkwürdigste war der Nebel«, sagte er ganz langsam. »Als wir uns geliebt hatten und zurücksanken, war der Nebel fort. Und die Sterne waren herausgekommen, so hell wie heute nacht. Die Sterne sind für uns herausgekommen. Die albernen, verdammten, neugierigen Sterne kamen heraus, um uns zuzusehen. Und das sagte ich ihr, und wir lachten, und ich hielt sie warm in meinen Armen. Und sie schlief in meinen Armen ein, während ich dalag und die Sterne betrachtete und ein Lied für sie zu schreiben versuchte.«
    »Keith ...«, sagte ich.
    »Gary«, erklärte er. »Ich gehe heute nacht dorthin zurück. Zum Nebel und den Sternen und meiner Sandi.«
    »Verdammt, Keith«, sagte ich. »Hör auf. Du wirst süchtig.«
    Keith setzte sich wieder auf und begann seinen Ärmel aufzuknüpfen.
    »Bist du je auf den Gedanken gekommen, daß es vielleicht nicht die Droge ist, nach der ich süchtig bin?« fragte er und lächelte ganz breit, wie ein kecker, eifriger Junge.
    Dann griff er nach seiner Zigarrenkiste und seinem Zeitausflug.
    »Laß mich allein«, sagte er.
     
    Das muß ein guter Ausflug gewesen sein. Am nächsten Tag war Keith ganz Lächeln und Liebenswürdigkeit, und seine gute Laune steckte uns alle an. Das hielt die ganze Woche über an. Die Arbeit schien leichter zu fallen als sonst, und die abendlichen Singstunden waren fröhlicher denn je. Es wurde viel gelacht, und es gab vielleicht mehr ehrliche Hoffnung, als wir sie seit geraumer Zeit aufgebracht hatten.
    Ich sollte aber nicht alles Keith zuschreiben. Winters war schon kräftig in seiner Vorschlagszeit, und in der ganzen Kommune tat sich etwas. Er und Pete arbeiteten als erstes mit großer Anstrengung daran, ein neues Haus zu bauen – ein Blockhaus neben dem Gemeinschaftsgebäude. Pete hatte sich mit einem der Mädchen zusammengetan, und ich nehme an, er wollte mehr für sich sein. Aber Winters sah das als den ersten Schritt zu der Siedlung, die er sich vorstellte.
    Das war auch nicht sein einziges Projekt. In seinem Jeep hatte er ein ganzes Bündel Karten, und jeden Abend nahm er jemanden beiseite und studierte sie im Kerzenlicht und stellte alle möglichen Fragen. Er wollte wissen, welche Gegenden wir nach Überlebenden abgesucht hätten, und welche Städte für Beutezüge lohnend erschienen, wo die Rattenrudel am ehesten anzutreffen seien, und dergleichen mehr. Warum? Nun, er habe ›Suchexpeditionen‹ im Sinn, sagte er.
    Es gab in der Kommune eine Handvoll Kinder, und Winters meinte, wir sollten eine Schule für sie einrichten, als Ersatz für den formlosen Unterricht, den sie bekommen hatten. Dann meinte er, wir sollten einen Generator bauen und wieder Strom erzeugen. Unsere medizinische Versorgung war auf einen ordentlichen Vorrat an Drogen und Medikamenten beschränkt; Winters war der Ansicht, einer von uns sollte die Feldarbeit ganz aufgeben und sich als Dorfarzt ausbilden. Ja, Winters hatte wirklich viele Einfalle. Und ein großer Teil davon war recht gut, auch wenn man nicht übersehen konnte, daß die Einzelheiten allerhand Mühe erfordern würden.
    Inzwischen war Winters auch regelmäßig beim abendlichen Singen dabei. Wenn Keith guter Laune war, schuf das keine Probleme, ja, es belebte das Ganze sogar ein wenig.
    Am zweiten Abend, als Winters kam, sah Keith ihn ganz betont an und begann ›Vietnam Rag‹ zu spielen, und wir anderen fielen ein. Darauf folgte ›Universal Soldier‹. Zwischen den Strophen zeigte er Winters sein herausforderndes Lächeln.
    Winters vertrug das aber ganz gut. Anfangs wand er sich und wirkte unbehaglich, aber schließlich ließ er sich anstecken und lächelte. Als Keith aufhörte, stand er auf.
    »Wenn ihr so entschlossen seid, mich als den Haus-Reaktionär der Kommune einzustufen, na, da muß ich wohl mitmachen«, sagte er und streckte die Hand aus. »Gib mir die Gitarre.«
    Keith sah ihn merkwürdig an, gab sie ihm aber. Winters packte das Instrument, klimperte ein paarmal unsicher und begann mit einer robusten Version von ›Okie from Muskogee‹. Er spielte, als hätte er Finger aus Stein, und er sang noch schlechter. Aber darauf kam es nicht an.
    Keith begann zu lachen, bevor Winters drei Takte weit gekommen war. Wir anderen auch. Winters mühte sich, ganz grimmig und entschlossen, bis zum bitteren Ende, obwohl er den Text nicht ganz kannte und ab und zu

Weitere Kostenlose Bücher