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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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etwas zu besagen hat.«
    Dann noch eine Stimme und wieder eine, dann ein Chor von Leuten, die alle gleichzeitig redeten, halb erinnerte Erfahrungen erwähnten, die von Wert, die nützlich sein mochten. Winters hatte ins Volle gegriffen.
    Er lächelte aber nicht. Er sah mich an. Ich wollte seinen Blick nicht erwidern. Ich konnte nicht. Das, was er wollte, hatte etwas für sich – auf schlimme Weise. Aber ich konnte das nicht zugeben, ich konnte ihn nicht ansehen und mit einem Nicken meine Kapitulation eingestehen. Keith war mein Freund, und ich mußte zu ihm halten.
    Und von allen hier im Kreis war ich der einzige, der stand. Aber mir fiel nichts ein, was ich sagen konnte.
    Schließlich bewegten sich Winters' Augen. Er blickte zum Felsen hinüber. Keith saß da und starrte auf die Zigarrenkiste.
    Das Geschrei hielt mindestens fünf Minuten an, dann erstarb es von selbst. Einer nach dem anderen sah Keith an, erinnerte sich und verstummte verlegen. Als es ganz still war, stand Keith auf und schaute sich um, wie ein Mann, der aus einem bösen Traum erwacht.
    »Nein«, sagte er. Seine Stimme klang verletzt und ungläubig; sein Blick glitt von einer Person zur nächsten. »Das könnt ihr nicht tun. Ich ... ich vergeude das Chronin nicht. Das wißt ihr alle. Ich besuche Sandi, und das ist keine Vergeudung. Ich brauche Sandi, und sie ist nicht mehr da. Ich muß zurückgehen. Das ist der einzige Weg für mich, meine Zeitmaschine.« Er schüttelte den Kopf.
    Ich war dran.
    »Ja«, sagte ich so nachdrücklich, wie ich konnte. »Keith hat recht. Vergeudung ist eine Frage der Definition. Wenn ihr mich fragt, wäre es die größte Vergeudung, die Leute ein zweitesmal bei Collegekursen die Zeit verschlafen zu lassen.«
    Gelächter. Dann unterstützten mich andere Stimmen.
    »Ich gebe Gary recht«, sagte jemand. »Keith braucht Sandi, und wir brauchen Keith. Es ist ganz einfach. Ich sage, er behält das Chronin.«
    »Auf keinen Fall«, wandte ein anderer ein. »Ich bin genauso mitfühlend wie irgendein anderer, aber verdammt noch mal – wie viele von unseren Leuten sind in den letzten Jahren gestorben, weil wir gepfuscht haben, als sie einen Arzt brauchten? Erinnert ihr euch an Doug vor zwei Jahren? Dazu solltet ihr kein Chronin brauchen. Ein entzündeter Blinddarm, und er stirbt. Wir haben ihn gemetzgert, als wir versuchten, den Blinddarm herauszuschneiden. Wenn es eine Chance gibt, zu verhindern, daß so etwas noch einmal vorkommt – selbst eine ganz kleine –, dann bin ich dafür, sie zu ergreifen.«
    »Es gibt keine Garantie, daß das nicht trotzdem passiert«, meinte die erste Stimme. »Man muß die richtigen Erinnerungen finden, um irgend etwas zu erreichen, und selbst die müssen nicht so nützlich sein, wie man möchte.«
    »Mist. Wir müssen es versuchen ...«
    »Ich finde, wir haben Keith gegenüber eine Verpflichtung ...«
    »Ich finde, Keith hat uns gegenüber eine Verpflichtung ...«
    Und plötzlich stritten sich alle wieder, schrien sich gegenseitig an, während Winters und Keith und ich dabeistanden und zuhörten. Es ging hin und her, auf und ab, immer wieder über dasselbe, bis Pete das Wort ergriff.
    Er ging um Winters herum, ohne Jan loszulassen.
    »Ich habe genug davon«, sagte er. »Ich glaube nicht mal, daß es was zu streiten gibt. Jan hier bekommt ein Kind von mir, sagt sie. Verdammt noch mal, ich geh' nicht das Risiko ein, daß sie oder das Kind stirbt. Wenn es einen Weg gibt, was zu lernen, damit es sicherer wird, dann beschreiten wir ihn. Vor allem ich geh' kein Risiko für einen gottverdammten Feigling ein, der mit dem Leben nicht fertig wird. Mensch, Keith hier war nicht der einzige, den es getroffen hat. Wie kommt er dann dazu? Ich hab' auch eine Puppe bei der Verwüstung verloren, aber ich jammere nicht nach Chronin, um sie im Traum wiederzusehen. Ich hab' mir statt dessen eine neue besorgt. Und das solltest du lieber auch tun, Keith.«
    Keith stand ganz still da, aber er hatte die Hände zu Fäusten geballt.
    »Es gibt Unterschiede, Pete«, sagte er langsam. »Große. Meine Sandi war schon einmal keine Puppe. Und ich habe sie geliebt, vielleicht mehr, als du begreifen kannst. Ich weiß, daß du vom Schmerz nichts verstehst, Pete. Du hast dich, wie viele Leute, dagegen abgehärtet, indem du so tust, als gäbe es ihn nicht. Du hast also alle davon überzeugt, daß du ein harter Bursche bist, ein starker Mann, wirklich unabhängig. Und du hast auch etwas von deiner Menschlichkeit aufgegeben.« Er

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