Liegen lernen
soff. Aber früher, als wir noch klein waren, traute sich niemand an uns heran, auch nicht in Mückes Gegend, denn wir
standen unter dem Schutz seines Bruders, und dessen Rache würde fürchterlich sein. Ich habe mal gesehen, wie er einen Typen aus der Nachbarschaft zusammengeschlagen hat, weil der Mücke als »asoziale Sau« beschimpft hatte. So redete man nicht mit dem Bruder von Mückes Bruder.
Mücke hatte auch eine Schwester, die hieß Tatjana. Tatjana war sehr still und hing immer nur mit ihrer Mutter zusammen. Auf der Grundschule hatte ich sie noch ein paarmal gesehen, aber dann wurde sie zur Hauptschule geschickt, weil Herr Kuwelko meinte, für Mädchen reicht das. Mücke redete nie über sie.
In diesem Frühjahr und in diesem Sommer hatte ich also immer weniger mit Mücke zu tun. Selbst wenn ich gewollt und gedurft hätte, hätte ich ihm nicht erklären können, was zwischen mir und Britta lief. Etwas war jetzt anders. Mit Mücke zu reden, das war wie zu Hause Mittagessen. Obwohl da ja nie viel geredet wurde. Und natürlich gebrauchten mein Vater und meine Mutter nicht solche Ausdrücke wie Mücke. Aber trotzdem war es so. Wenn ich ihn sah, sah ich meine Eltern und ihre Wohnung.
Manchmal rief Gisela an. Ich ging ein paarmal mit ihr Kaffee trinken, wenn Britta keine Zeit hatte. Es war in Ordnung, aber ich konnte nichts mit ihr anfangen. Sie interessierte sich nicht für Politik, hörte nur klassische Musik und wollte mal Medizin studieren. Wir gingen nur Kaffee trinken. Aber nicht ins Raskolnikow. Gisela sagte wieder, man könne sich so gut mit mir unterhalten, dabei sagte ich gar nicht viel.
Eines Nachmittags sagte Britta, sie hätte mich mit Gisela gesehen. Wir lagen da, nachdem wir miteinander geschlafen hatten. Seit neuestem durfte ich auch mal oben liegen.
»Du hast mich gesehen?« fragte ich.
»Ja.«
»Und?«
»Nichts und«, sagte sie. »Ist mir nur aufgefallen. Läuft da was zwischen euch?«
»Wie bitte?«
»Naja, ich kann doch mal fragen.«
»Das kann nicht dein Ernst sein!«
»Sie ist doch ganz nett«, sagte Britta.
»Aber, das ist doch Unsinn. Du weißt doch: Ich liebe dich.«
Das hatte ich noch nie gesagt.
»Du liebst mich?« fragte sie. »Weißt du überhaupt, was das ist?«
Ich sagte nichts. Es war jetzt eine komische Stimmung. Es hatte ihr nicht gefallen, daß ich das gesagt hatte. Worüber sollten wir jetzt reden? Britta fing an, mich zu streicheln, und dann schliefen wir noch einmal miteinander. Abends aßen wir mit Jutta und Wilfried, und alles war wieder in Ordnung.
In den Osterferien war ich fast ständig bei Britta. Jutta und Wilfried fuhren für eine Woche zu Wilfrieds Eltern ins Allgäu. Ich setzte zu Hause durch, daß ich über Nacht wegbleiben durfte. Ich erzählte was von Partys und daß alle da schlafen würden. Meinen Eltern war es mittlerweile egal, was ich machte.
Zum ersten Mal konnte ich in Brittas Armen einschlafen. Wir liebten uns ziemlich oft, und ich hatte wohl einiges dazugelernt. Ich durfte jetzt häufiger oben liegen. Ich verlor mich jetzt nicht jedesmal so vollständig darin. Das machte es für Britta schöner, dachte ich. Außer beim ersten Mal sah mich Britta immer dabei an. Sie konnte die Augen nicht schließen dabei. Manchmal war sie ziemlich heftig, stieß mich, wenn sie auf mir saß, als sei ich das Mädchen und sie der Junge. Wenn sie kam, flatterten ihre Augen, gingen aber nie ganz zu. Man sah dann das Weiße in ihren Augen. Sie wurde ganz still und alles in ihr spannte sich an. Ich konnte es kommen sehen, es schien in ihr aufzusteigen, und erst wenn sie wirklich kam, stöhnte sie laut auf, als habe sie minutenlang die Luft angehalten.
Wenn ich bei ihr übernachtete, blieben wir lange wach. Manchmal warteten wir auf den Sonnenaufgang, liebten uns und schliefen erst dann ein. Wir schliefen bis mittags und frühstückten dann im Bett. Meistens zogen wir uns gar nicht an.
Wir liebten uns auch in der Küche und zwischen Wilfrieds Kunstwerken.
Am Ende der Osterferien blieb ich noch einmal über Nacht, obwohl Jutta und Wilfried schon wieder zurück waren. Wir lagen wieder lange wach. Wir hatten ziemlich viel Wein getrunken. Ich küßte sie und streichelte sie, und sie sagte: »Im Sommer fahre ich nach Amerika.«
»Da wollte ich auch immer mal hin«, sagte ich und kroch hinunter zu ihren Füßen und küßte ihren großen Zeh.
»Ich fahre wirklich.«
»Wohin denn?« Ich fing an, mich mit ihrem großen Zeh zu beschäftigen.
»In ein kleines Nest
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