Liegen lernen
in Illinois.«
»Für wie lange? Vier Wochen?«
»Ein Jahr.«
Ich sah sie an. Ich sah ihre Beine und ihr Schamhaar, ihren Bauch, ihre Brüste und schließlich ihre Augen.
»Ein Jahr?«
»Das berühmte Amerikajahr«, sagte sie. »Ich gehe da zur Schule.«
»Ausgerechnet in Amerika?« Ich war fassungslos. Ein Jahr. Eine Ewigkeit. Und ausgerechnet zu diesen imperialistischen Arschlöchern.
Ich wollte wissen, warum sie das tat, und sie sagte, es sei immer gut, mal für ein Jahr ins Ausland zu gehen. Ihr Vater habe das für sie geregelt, der habe ziemlich lange drüben gelebt.
»Wilfried hat in den USA gelebt?«
»Wilfried ist nicht mein Vater. Jedenfalls nicht mein leiblicher.«
»Juttas Mann, mein Vater«, hatte sie gesagt, als ich das erste Mal hier gewesen war.
»Es ist mir zu kompliziert, ständig zu erklären, wie das mit meinen Eltern ist. Außerdem hat Wilfried mich zum größten Teil aufgezogen. Mein richtiger Vater hat meine Mutter verlassen, als ich sechs Jahre alt war.«
Ich sagte, ich würde auf sie warten. Und vielleicht könnte ich so viel sparen, daß ich zu Weihnachten mal rüberkommen könnte. Sie sagte, das sei keine so gute Idee.
»Wieso nicht?«
»Sieh mal«, sagte sie und hockte sich in den Schneidersitz, »ein Jahr ist eine lange Zeit und wahrscheinlich wirst du jemand anders kennenlernen, während ich weg bin.«
»Nein«, sagte ich.
»Vielleicht lerne ich auch jemand anderes kennen.«
»Du willst jemand anderes kennenlernen?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, daß ein Jahr eine lange Zeit ist.«
Später lagen wir herum und sagten nichts. Es wurde kalt, und wir deckten uns zu.
In den nächsten Wochen versuchte ich, nicht daran zu denken. Die Sommerferien sollten Mitte Juni anfangen. Noch zwei Monate.
Wir fuhren viel mit dem Fahrrad raus. Britta vernachlässigte ein wenig ihr Amt. »Public Enemy No. l« übernahm immer mehr.
Einmal fuhren wir nach Köln und gingen ins Museum Ludwig. Britta erklärte mir alles über Kunst. Jedenfalls alles, was ich wissen mußte. Sie fand es witzig, daß ich davon keine Ahnung hatte. Sie dachte immer, an so etwas komme man nicht vorbei, das sei doch überall. Ich beichtete ihr auch, daß ich erst mit vierzehn meine erste Pizza gegessen hatte. Da mußte sie richtig laut lachen. Ich sagte, meine Eltern gingen eben nicht so oft aus, es wurde immer zu Hause gekocht, und Britta fragte mich, was das denn damit zu tun habe.
Hätte ich damals Kilometergeld bekommen, wäre ich reich geworden. Wir gingen sehr viel spazieren. Wir gingen in den Wald und sahen uns Käfer und Ameisen und Spinnen an. Ich ekelte mich ein bißchen davor, aber Britta meinte, ich solle mich nicht so anstellen. Sie nahm eine Spinne und setzte sie mir auf die Hand. Die Spinne krabbelte über meinen Handrücken bis zu meinen Fingerspitzen und schien dann nach unten zu schauen. Mir wurde schlecht. Ich schüttelte die Spinne ab. Britta lachte wieder. Sie hatte immer viel zu lachen, wenn sie mit mir zusammen war.
Im Mai, als es wärmer wurde, gingen wir immer häufiger in den Stadtpark. Hier suchten wir uns Ecken, wo uns keiner sehen konnte. Wir legten uns in die Sonne, und Britta trug nur einen Bikini. Einen blauen. Ihre Brustwarzen drückten sich durch den Stoff. Ich mußte mich auf den Bauch legen.
Wir nahmen immer einen Picknickkorb mit und fuhren mit dem Fahrrad. Britta hatte ihr eigenes, und ich nahm das von Wilfried. Beim Fahrradfahren trug Britta noch Hosen und ein Top. Beides zog sie im Stadtpark aus. Einmal zog sie auch das Bikinioberteil aus. Ich drehte mich wieder auf den Bauch.
Im Stadtpark küßten wir uns immer nur, sonst nichts. Also, wir lasen und unterhielten uns und aßen Wassermelonenstücke, aber liebten uns nicht oder so. Ich hätte es getan. Es war mir egal, ob uns jemand sah. Aber Britta sagte, in der Öffentlichkeit müßten wir uns benehmen. Wir hörten Musik aus einem Kassettenrecorder. Simon and Garfunkel standen hoch im Kurs, hatten sich erst kürzlich wieder zusammengetan. Britta brachte mal wieder Kassetten von Angelo Branduardi mit. Ich konnte seine Stimme nicht leiden, aber das sagte ich natürlich nicht. Wenn wir Wassermelone aßen, zog ich mir immer das Hemd aus, damit ich mich nicht bekleckerte. Der Mai war ziemlich gut und warm. Wir waren oft im Park. Ich hatte fast vergessen, daß Britta nach Amerika wollte.
Mitte Juni schlug dann unser letztes Stündchen. Wir gingen nicht in den Stadtpark, sondern fuhren runter zum Fluß.
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