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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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hintereinander zu spät gekommen und war gefeuert worden.
    Also wurde ich Parkwächter. Rüdiger besorgte mir den Job, nachdem ich ihm erzählt hatte, ich brauchte Arbeit. Der Job war nicht gut bezahlt, aber leicht. Ich saß vier Stunden am Tag in einer kleinen Kabine herum und mußte eigentlich gar nichts machen. Fast alle zahlten an den Kassenautomaten. Nur wer kein Kleingeld hatte, kam bei mir vorbei. Schon aus lauter Langeweile fing ich an, ernsthaft zu studieren. Ich nahm mir Bücher mit, breitete mich aus und fing an zu lesen. Ab und zu warf ich einen Blick auf die Überwachungsmonitore, aber da war nie etwas Interessantes zu sehen.
    Ich hatte nur das eine oder andere Mal Gelegenheit, mich zu wundern, wer in diesem Land alles einen Führerschein bekam, wer überhaupt frei herumlaufen durfte. Einmal wurde ich von einem wütenden Hupen aus meinen Studien gerissen, und als ich aus dem Fenster sah, fuchtelte ein Mann in einem VW-Golf vor der geschlossenen Ausfahrtschranke ärgerlich mit den Armen. Ich ging hinaus und fragte, was sein Problem sei. »Ich komm nicht raus, verdammte Scheiße! Die Schranke geht nicht hoch!« schnauzte er mich an und hielt mir seinen Parkschein entgegen.
    Ich sah mir den Schein an. Der Schein trug keinen Aufdruck vom Kassenautomaten. Ich sagte: »Naja, Sie müssen auch erst bezahlen.«
    »Wie ›bezahlen‹?«
    »Dies ist ein gebührenpflichtiges Parkhaus«, zitierte ich aus der Geschäftsordnung, »und bevor Sie wieder rausfahren, müssen Sie am Kassenautomaten oder bei der Aufsicht bezahlen.«
    Der Mann sah mich an, als hätte ich gerade etwas sehr Dummes gesagt. »Aber«, sagte er dann, »draußen steht doch ›Frei‹ dran!«
    Ich sah dem Mann in die Augen und wußte, er meinte es ernst. Schlagartig fühlte ich mich sehr schwach und sehr müde. Er tat mir leid. Sicher hatte er noch viel größere Probleme. Ich schlurfte in meine Bude zurück und öffnete die Schranke manuell. Was sollte ich ihm groß erklären.
    Abgesehen davon, war alles ganz einfach: Auto fahren, studieren, Sex haben, erwachsen sein, nicht an Britta denken.
    Wenn ich nicht bei Gisela war oder im Parkhaus oder in der Uni, war ich mit Beck zusammen. Mit ihm ging ich essen, und er versuchte, mir Geschmack und Lebensart beizubringen. Er erklärte mir, daß man in guten Restaurants das Besteck von außen nach innen benutzte. Beck fand, Manieren und Lebensart seien in unserer Zeit zunehmend verwildert und es sei Zeit, etwas dagegen zu tun. Gutes Benehmen habe etwas mit Respekt zu tun, den man anderen Menschen entgegenbringe, und Respekt sei die Grundlage für alles andere. Beck erklärte mir die Welt. Ohne große Anstrengung sammelte er seine Seminarscheine. Ansonsten ließ er an der Uni kein gutes Haar. »Mal abgesehen davon«, sagte er, »daß sie eine architektonische Zumutung ist, wird sie bevölkert von Idioten und Schmarotzern. Achtzig Prozent der Leute, die hier eingeschrieben sind, sind eigentlich zu blöd für ein Hochschulstudium.« Beck sagte, das liege daran, daß nichts mehr verlangt werde. Das Studium sei zu einfach, die Zwischenprüfung bei den Historikern ein Witz. Das sei keine Prüfung. Es handele sich eher um ein je nach Professor längeres oder kürzeres Gespräch, in dem ganz allgemein über Studieninhalte geplaudert werde. Manche Profs erledigten das in Gruppen von fünf oder zehn Leuten, um sich nicht weiter damit zu belasten. Das sei alles den sozialdemokratischen Auswüchsen der Siebziger zu verdanken, meinte Beck. Da glaubte man, dem Wissensdurst der Studierenden vertrauen zu können. Ein verstaubtes, linkes Bildungsideal, sagte Beck. Der Wegfall des Drucks und der Gängelei früherer Zeiten verführe zu Schlendrian und Faulenzerei. »Sieh dich um«, sagte Beck. »Die blockieren alle nur Studienplätze, sind eigentlich zu blöd.«
    Beck war nicht beliebt an der Uni. Er ignorierte die Kleiderordnung. Bei den Geisteswissenschaftlern herrschten noch immer unumstritten die Wildlederjackenträger. Ein lederner Aktenkoffer galt hier als faschistoid. Beck war immer wie aus dem Ei gepellt, manchmal sogar im Anzug und immer in teuren Schuhen. Er war ein Exot, und er wurde mißtrauisch beäugt. Mörder und Diebe hätten es unter Geisteswissenschaftlern leichter gehabt als Leute, die sich gut anzogen.
    Manchmal saßen wir bis in die frühen Morgenstunden zusammen. Beck versuchte mir den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Wein beizubringen. Ich fand heraus, daß ich nur ganz jungen, leichten Wein

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