Liegen lernen
mochte. Bei manchem teuren Roten, bei dem Beck die Zunge schnalzen ließ, verzog ich das Gesicht, weil mir der Nachgeschmack nicht paßte. Manchmal gingen wir auch ins Raskolnikow, aber das mochte Beck nicht sonderlich. Er machte Witze über die langhaarigen Latzhosenträger, die sicher nur mit Stoffkondom vögelten. Die anderen sahen ihn an, als käme er von einem anderen Stern. Einmal fragte Uwe mich, wen ich da immer anschleppte. Ich sagte, Beck sei ein Freund von der Uni, und Uwe schüttelte nur den Kopf.
In einer dieser Nachtsitzungen erzählte mir Beck von sich. Er stammte aus Bayern. Beck sagte, sein Vater habe in einer Autofabrik gearbeitet und sei eigentlich ein netter Mann, ein guter Vater gewesen, der mit seinem Sohn Drachen steigen ließ und kleine Spielzeuge aus Holz selbst schnitzte. Aber alle paar Monate fiel der Vater in ein tiefes Loch und fing an zu saufen. Dann wurde er tagelang nicht nüchtern, saß am Küchentisch und starrte das Tischtuch an. Dann wankte er durch die Zimmer und brüllte, er halte es nicht mehr aus. Manchmal warf er Sachen an die Wand. Beck und seine Schwester lagen in ihren Betten und versuchten sich einzureden, sie schliefen.
Seine Mutter, sagte Beck, sei sehr schön gewesen. Sie hatte mal einen Schönheitswettbewerb gewonnen und hätte es ganz sicher bis zur Miß-Germany-Wahl geschafft, doch das paßte ihrem Vater nicht in den Kram, einem stiernackigen Schreinermeister aus einem Dorf in der Nähe von München. Ihre Mutter überredete sie, Sekretärin zu werden, die wurden immerhin manchmal von einem reichen Chef geheiratet. Statt dessen lernte Becks Mutter auf einer Tanzveranstaltung Ende der Fünfziger diesen jungen Arbeiter mit den dunklen Haaren kennen. Sie wurde schwanger, heiratete, bekam ein Mädchen, wurde wieder schwanger und bekam einen Jungen. Dann wurde sie noch mal schwanger, erlitt eine Fehlgeburt, konnte keine Kinder mehr bekommen und lag nachts wach und preßte die Lider zusammen, wenn ihr Mann sich am Geschirr verging.
Das erste, was er ablegte, als er von zu Hause wegging, war der breite bayerische Dialekt, den sein Vater sprach. Zunächst war es Beck gar nicht in den Sinn gekommen zu studieren. Er ging nach Berlin, weil es weit weg war. Weil es der Ort war, von dem alle sagten, daß man da hinmüsse. Weil es eingemauert war. Weil es groß war. Dort lebte er in einer Wohngemeinschaft, fühlte sich aber sehr bald unwohl. Er verabscheute den alltäglichen Alkoholismus und das ausufernde Kiffen, das seine Mitbewohner dumpf und dämlich gemacht habe. Zwischendurch zogen sie los, mit einer Kiste Bier an der Hand, und besetzten irgendein Haus, schliefen ein paar Nächte dort und kamen dann in die WG zurück. Ungefähr zu dieser Zeit entwickelte Beck seine Vorliebe für teure Klamotten und eine etwas geschraubte Redeweise. Es war ziemlich genau die Zeit, als ich selbst in Berlin war und beinahe beim Pissen erschossen worden wäre.
In unsere Gegend kam er dann wegen einer Frau. Sie war fünfzehn Jahre älter als er und hieß Gabriele. Sie lernten sich in einem Taxi kennen. Beck war der Fahrer. Den ganzen Abend über hatte er vor dem Kongreßzentrum unter dem Funkturm gestanden, wo irgendein Medizinerkongreß stattfand mit anschließendem Schwof. Und plötzlich kam sie weinend mit verschmiertem Mascara herausgelaufen, sprang in sein Taxi und wollte »einfach nur weg hier«. Sie steckte ihm einen Hunderter zu und sagte, er solle »einfach so herumfahren«. Im Rückspiegel beobachtete Beck, wie sie immer wieder eine Hand vor ihre Augen legte und weinte. Schwarze Bäche rannen über ihre Wangen. Sie war schön, selbst in ihrem Elend.
Fast eine Stunde war er kreuz und quer durch West-Berlin gefahren, ohne daß ein Wort zwischen ihnen gefallen wäre. Dann fragte sie, ob die hundert Mark schon aufgebraucht seien, wenn ja, solle er sie einfach aussteigen lassen, mehr Geld habe sie nämlich nicht dabei. Beck sagte, das sei schon in Ordnung. Dann fuhr er rechts ran, drehte sich zu ihr um und fragte sie, ob sie nicht irgendwo was trinken gehen sollten. Gabriele starrte ihn an, als habe er sie beleidigt. Einige Sekunden dachte sie nach, dann lächelte sie und ließ sich von ihm einladen. Im Laufe der folgenden Nacht, die sie mit dem Taxi durch die Stadt fuhren, bis es sie an den Wannsee verschlug, erzählte Gabriele ihm alles von ihrer mißratenen Ehe mit einem mittelmäßig begabten Chirurgen, mit dem sie zwei Kinder hatte. Gegen Morgengrauen nahm Beck sie in ihrem langen
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