Liegen lernen
»Bescherung«. Gisela hatte für meine Mutter ein teures Parfüm gekauft, obwohl ich dagegen gewesen war, und für meinen Vater eine Krawatte. »Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen!« sagte meine Mutter, und mein Vater stand auf, sagte: »Das ist aber nett!« und setzte sich wieder.
Ich hatte in diesem Jahr nichts besorgt, aber das entsprach einer vor vielen Jahren getroffenen Abmachung. Als ich noch ein Kind war, hatten meine Eltern gesagt, es sei nicht nötig, daß ich ihnen etwas schenke. Sie machten aber weiter damit, mich zu beschenken.
Und als ich mich bereitmachte, mein Geschenk entgegenzunehmen, stand mein Vater wieder auf, sah mich an und hielt eine der längsten Reden seines Lebens.
»Tja, mein Sohn«, begann er, »jetzt wartest du sicher auf dein Weihnachtsgeschenk. Aber ich und deine Mutter haben in diesem Jahr beschlossen, unsere alte Abmachung ein wenig zu erweitern. Da wir auch nicht wissen, was wir dir schenken sollen, was du vielleicht noch nicht hast, gibt es in diesem Jahr nichts. Es wäre doch Blödsinn, dir etwas zu schenken, mit dem du nichts anfangen kannst. Außerdem bist du doch jetzt erwachsen, hast eine Frau und eine eigene Wohnung. Was sollst du da noch mit irgendwelchem nutzlosen Zeug anfangen, das deine Eltern dir zu Weihnachten schenken. Ja, das wollte ich nur sagen.«
Es hätte nur noch gefehlt, daß er sich verbeugt hätte. Er setzte sich wieder hin.
Einige Sekunden Stille.
»Okay«, sagte ich. »Ich glaube, wir müssen jetzt los!«
Meine Mutter stand auf, hielt Gisela die Hand entgegen und sagte: »Sie müssen unbedingt mal wieder vorbeikommen! Es war sehr nett, Sie kennenzulernen! Grüßen Sie Ihre Eltern von uns, unbekannterweise!«
Gisela stand auf, ergriff die Hand meiner Mutter und sagte: »Mache ich gerne, vielen Dank für den Kaffee!«
»Vielen Dank für das schöne Parfüm! Auf Wiedersehen, Junge, laß dich auch mal wieder blicken.«
»Auf Wiedersehen, Papa.«
»Auf Wiedersehen, Sohn!« Mein Vater lächelte mich freundlich an.
Meine Mutter brachte uns zur Tür und verabschiedete sich noch einmal von uns. Stumm gingen wir die Treppe hinunter und zu meinem Auto.
Wir fuhren zu Giselas Eltern. Während der Fahrt sagte ich nichts. Gisela auch nicht.
Das Essen war gut und reichhaltig. Ihre Eltern behandelten mich, als gehörte ich zur Familie. Nach dem Essen trank ich Schnaps mit dem Vater, und er bot mir eine Zigarre an, aber ich lehnte ab, während die Frauen in der Küche das Geschirr in die Spülmaschine räumten. Er fragte mich nach meinem Studium und was ich danach machen wolle. Ich sagte, das wisse ich noch nicht genau. »Sie haben ja auch noch Zeit«, sagte er. Giselas Vater war etwa so groß wie ich und kräftig. Er war Oberstudienrat, aber ich hatte die Fächer vergessen, die er unterrichtete. Ihre Mutter hatte auch unterrichtet, war aber jetzt Hausfrau.
Erst sehr spät wurden Geschenke ausgetauscht. Gisela nahm mich vorher beiseite und drückte mir zwei kleine Pakete in die Hand, die ich ihrem Vater und ihrer Mutter überreichen sollte. Gisela meinte, es könne für die Zukunft nicht schaden, wenn ich mich in dieser Hinsicht gut einführte. Ich wollte wissen, was denn in den Päckchen drin wäre, und sie sagte, für ihren Vater habe sie eine Krawatte besorgt und für die Mutter ein seidenes Tuch. Ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, eine Hausratversicherung abzuschließen.
Die Geschenke wurden mit Ausrufen des Entzückens entgegengenommen. Ich bewunderte selbst den Geschmack, den ich bei der Auswahl des Tuches und der Krawatte bewiesen hatte. Ich war nett, ich war aufmerksam. Bei der Wahl zum Schwiegersohn des Jahres wäre ich in die Endausscheidung gekommen.
Später fuhr Gisela uns nach Hause, wir legten uns ins Bett, und sie schmiegte sich an mich, küßte meine Ohrläppchen und meinen Hals und umarmte mich sehr fest. Ich fing an, sie zu streicheln und zu küssen, fuhr ihr mit der Hand unter die Bluse und schob mein Knie zwischen ihre und legte mich auf sie und war gerade dabei, meine Hose aufzumachen, als sie den Kopf schüttelte, mich sanft von sich schob und lächelnd sagte: »Heute nicht. Heute ist doch Heiligabend!«
Am nächsten Tag besuchten wir Tante Anni. Giselas Eltern waren auch wieder da. Der Vater trug die neue Krawatte und seine Frau das seidene Tuch. Sie betonten noch mal, wie sehr sie sich gefreut hätten. Tante Anni hatte Ohren, groß wie Teller, aber sie konnte damit kaum noch etwas hören. Sie nickte die ganze
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