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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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wäre sicher der Bürgermeister vorbeigekommen und ein Fotograf von der Zeitung. In einer Familiengruft lag ein Kind von drei Jahren. Gloria malte sich die Lebensläufe der Leute aus, wie sie jung und verliebt waren und Sex hatten, bis der Krieg kam, und wie sie alt wurden und krank, verbohrt und unfreundlich. Gloria fragte mich, ob ich das nicht auch unglaublich fände, all diese Leben, die hier begraben seien, die Schicksale dieser Leute und die Stimmung an einem solchen Ort, die Stille und der Ernst des Augenblicks. Ich sagte, ich fände es beeindruckend. Dann küßte sie mich und drückte sich an mich und drängte mich gegen einen Grabstein, der mir bis knapp unter den Hintern reichte. Er war breit und gehörte zu der Gruft, in der das Kind begraben lag. Wir standen hinter dem Stein. Gloria zog mir das Hemd aus der Hose, strich mit ihren Fingernägeln über meinen Bauch und lachte leise. Dann drehten wir uns um die eigene Achse, so daß Gloria nun den Stein hinter sich hatte. Sie löste die Umarmung, und ich dachte, jetzt könnten wir gehen, aber sie lachte, setzte sich auf den Stein, streifte ihre Schuhe ab, griff unter ihren Rock und zog sich Strumpfhose und Slip aus. »O Gott, ist das kalt«, sagte sie, als sie sich wieder setzte. Ihre Strumpfhose und ihr Slip lagen auf dem Boden. »Komm her!« sagte sie.
    »Hier? Jetzt?«
    »Warum nicht? Niemand wird uns stören.«
    Ich betrachtete sie ein wenig, wie sie halb auf dem Grabstein saß, halb sich gegen ihn lehnte, wie sie ein Bein anwinkelte und mir ihre Hand entgegenstreckte. So etwas machte man einfach nicht. Was sollte ich tun? Ich konnte schlecht nein sagen.
    Ich kniete vor ihr nieder und steckte meinen Kopf unter ihren Rock.

10
    Die Sache mit dem Friedhof irritierte mich. War das pervers? Oder war ich ein Spießer? Selbstbestimmte weibliche Sexualität unter Einschluß ungewöhnlichen Verhaltens und phantasievoller Praktiken – davon hatte ich gehört, Britta hatte mir davon erzählt. Aber auf dem Friedhof? War das Glorias Kommentar zur Situation der Sexualität in den Zeiten von AIDS, jener »Big Desease with a little Name«, wie es bei Prince hieß, den ich bei Gloria rauf und runter hören mußte?
    Es blieb nicht nur bei Friedhöfen. Alles Religiöse machte Gloria scharf. Wenn wir an einer Kirche vorbeigingen, drückte sie meine Hand ganz fest, und als wir mal nach Köln fuhren, mußten wir in den Dom gehen, und Gloria nahm mich beiseite und küßte mich und rieb meinen Schwanz durch meine Hose. Ich sagte nichts. Na gut, ich bekam einen Ständer, aber ich fühlte mich nicht wohl dabei. Zunächst dachte ich, es sei dieser Hauch von Tod und Ewigkeit, der von religiösen Symbolen, jedenfalls von christlichen, ausgeht. Dann dachte ich, es sei vielleicht der öffentliche Aspekt, der mich störte und verunsicherte. Das wäre alles in Ordnung gewesen. Darüber hätte man reden können.
    Aber dann ging mir auf, daß es mir nicht geheuer war, weil es sich nicht gehörte. So etwas tat man einfach nicht. Man fickte nicht auf Friedhöfen, man griff seinem Freund in gotischen Baudenkmälern nicht zwischen die Beine, das war unanständig. Und das konnte ich ihr nicht sagen. Wie hätte das denn ausgesere und ihr gesagt hätte: »Du, Gloria, ich finde, so wie du verhält man sich nicht im Angesicht Gottes.« Gott war mir egal, wenn es ihn gab, war er ohnehin blind oder hatte schon zu viel gesehen, aber mir ging durch den Kopf, was meine Mutter sagen würde, wenn sie davon erfuhr: »Junge, ach Junge, manchmal möchte ich wirklich wissen, was du eigentlich willst.«
    Ein bißchen schämte ich mich dafür. Ich war ein Spießer. Ich ging dagegen an. Ich sagte mir: Du liebst diese Frau, also wirst du auch damit fertig werden, daß sie pervers ist. War sie das? Konnte ich damit so einfach fertig werden?
    Wenn wir spazierengingen, fing ich an, unsere Routen so zu planen, daß wir an keiner Kirche und an keinem Friedhof vorbeikamen. Das war nicht einfach. Na gut, und Gloria kam auch nicht bei jedem Kirchturm in Wallung, aber das Risiko erschien mir zu groß. Schließlich versuchte ich, Spaziergänge allgemein zu vermeiden.
    Dann fing es zu Hause an. Eines Abends, als wir schlafen gingen, hing ein Kruzifix über dem Bett. Ich sagte nichts, zog mich aus und legte mich hin. Aber Gloria ließ ihre Nachttischlampe an und begann, an mir herumzufummeln. Ich wollte nicht. Ich wollte schon, aber ich wollte nicht wollen. Ich sah ihr rotes Haar und ihre Augen, die so blitzten, wie sie es

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