Liegen lernen
immer taten, wenn Gloria in Schwung kam. Man mußte schon schwul oder blind sein, um dem widerstehen zu können. Nein, blind hätte nichts genützt, denn da blieb dann immer noch das, was sie und ihr Körper mit einem machten, selbst wenn man sie nicht sah. »Sie und ihr Körper«, jawohl, das schienen zwei verschiedene Einheiten zu sein, Gloria konnte sich so bewegen, daß man dachte, man wäre zu dritt oder zu viert im Bett. Und dann die Geräusche, die sie machte.
Ich konnte nicht anders. Ich mußte über sie herfallen. Ich drehte sie herum und warf mich auf sie wie ein Footballspieler auf das Lederei. Aber sie wehrte mich ab wie eine Judo-Championissima, nein, wie eine Ringerin, und warf mich auf den Rücken, drückte meine Schultern nieder und setzte sich auf mich. Normalerweise machte ich an der Stelle immer die Augen zu, denn dieses Bild, wie sie auf mir saß und sich bewegte und ihr Haar zurückwarf und Geräusche machte, das war zu viel, das war zu schön, das war zu geil, um erträglich zu sein. Aber diesmal mußte ich hinsehen, und ich sah, daß sie die Augen nicht geschlossen hatte, daß sie aber nicht mich ansah, sondern etwas über mir, und ich wußte, sie sah das Kruzifix an.
Später lag ich lange wach.
Am nächsten Tag, als Gloria schon weg war, sah ich mir den neuen Wandschmuck im Schlafzimmer näher an. Ein bärtiger Mann in einem Lendenschurz, brutal an ein Holzkreuz genagelt. Es war schon ein starkes Stück, daß diese Szene, die aus einem Horrorfilm hätte stammen können, das Symbol einer Weltreligion war. Dieses Ding stand, nein, es hing für Liebe und Vergebung, Barmherzigkeit und ewiges Leben. Es sollte uns ein schlechtes Gewissen machen. Und das hatte es jetzt endgültig geschafft. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil es mich verstörte, daß meine Freundin beim Anblick des Genagelten scharf wurde, daß sie ihn ansah, wenn sie auf mir saß. War es einfach nur dieses Männerproblem, keinen Nebenbuhler ertragen zu können? Sollte Gloria keinen Gott neben mir haben? Aber ich war ein großer Junge. Ich würde damit fertig werden. Der Anblick, wenn ich zu ihr aufschaute, war das alles wert. Und diese Wohnung auch. Und ihr Cabrio. Und ihr Lachen natürlich. Die Art, wie sie ihr Haar zurückwarf. Natürlich. Die Art, wie sie einfach bestimmte, was wir abends machen würden, wie sie mir an der Supermarktkasse einfach das Raider zusteckte, ohne mich zu fragen, was ich haben wollte. Die Art, wie mich die anderen Männer ansahen, wenn ich mit ihr zusammen unterwegs war.
Beck mochte Gloria, und bald unternahmen wir vieles zu dritt. Beide kannten sich aus mit gutem Essen. Wir gingen sehr oft in Restaurants. Beck und Gloria hatten immer etwas auszusetzen an dem, was auf den Tisch kam. Mal war es zu kalt, dann zu verkocht, dann zu stark oder zu schwach gewürzt, und nur selten akzeptierte Beck gleich die erste Flasche Wein, die uns der Kellner an den Tisch brachte. Er nahm einen Schluck, schien sich damit den Mund auszuspülen und sah den Kellner an, als habe der eine ansteckende Krankheit. Gloria fand das gut. Sie sagte, man dürfe sich nicht alles bieten lassen. Ich hatte keine Ahnung von Wein und gutem Essen. Wenn das Fleisch nicht gerade hart wie ein Brett war, fand ich es in Ordnung.
Eines Abends, als wir nach einem Essen mit Beck wieder zu Hause waren und uns fertigmachten, um schlafen zu gehen, sagte Gloria: »Was war denn los mit dir heute abend?«
»Was soll denn los gewesen sein?« fragte ich zurück.
»Hattest du schlechte Laune?«
»Keineswegs.«
»Du hast kaum was gesagt den ganzen Abend.«
»Ich bin müde. Hatte viel zu tun an der Uni.«
»Aha.«
»Ja, aha.«
Sie ging ins Bad und putzte sich die Zähne.
An der Uni lief es sehr gut. Beck hatte Unsinn erzählt. Vorlesungen brachten sehr wohl etwas. Ich belegte drei in Geschichte und jeweils eine in den Nebenfächern. Ich machte mir Notizen, schrieb mir vor allem die weiterführenden Literaturhinweise auf und ging nach den Vorlesungen in die Institutsbibliothek, um noch ein wenig was nachzulesen. Manchmal blieb ich den ganzen Tag an der Uni. Morgens kam ich früh genug, um noch einen Kaffee in der Cafeteria zu nehmen. Ich sah gern zu, wie die anderen ankamen. Mittags ging ich mit Beck in die Mensa, und jedesmal beschwerte er sich über das schlechte Essen. Ich fand es auch nicht gut, aber auch nicht so schlecht, daß ich mich jeden Tag darüber ereifern mochte. Nach dem Essen saßen wir in der Cafeteria, und manchmal
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