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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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ich könne jederzeit herkommen und es mir bequem machen, auch wenn sie nicht da sei. Ich nahm den Schlüssel und küßte sie. Dann legten wir uns aufs Bett und rieben uns ein wenig aneinander. Dann standen wir wieder auf, und Gloria holte eine Flasche Weißwein aus der Küche und zwei Gläser. Wir setzten uns nackt auf den Balkon, denn es war sehr schwül. Von ihrem Balkon konnte man den Fluß sehen, der unserer Gegend den Namen gab. Niemand schien uns sehen zu können, und wenn doch, wäre es wohl egal gewesen. 
     
    Als die Saison wieder begann, nahm sie mich mit zu Fußballspielen, zu denen sie Pressekarten bekam, auch wenn sie nicht darüber berichten mußte. Nach den Spielen gingen wir zu der Pressekonferenz, und ich lernte andere Journalisten kennen. Sie nahmen das, was sie taten, sehr wichtig. Sie duzten die Fußballer und Trainer, über die sie berichteten. Sie waren Teil einer großen Sache. Gloria fragte mich, ob mir das gefalle, und ich sagte, das sei sehr interessant. Als Kind hatte ich mir etwas mehr aus Fußball gemacht, aber es war in Ordnung, und ihr schien es Spaß zu machen. Es war schön, mit ihr gesehen zu werden.
    Einmal erzählte Gloria, als Kind habe sie immer bei den Jungs mitgespielt. Mit anderen Mädchen habe sie nicht so viel anfangen können. Beim Fußball wollte man sie nicht ernst nehmen, obwohl sie eine gute Ballbehandlung hatte und das eine oder andere Tor machte. Respekt habe sie sich erst erworben, als sie gelernt hatte zu grätschen. Da bekamen einige Jungs Angst vor ihr. Mit ihr war eine Mannschaft stärker als ohne sie. Und Erfolg zählte allemal mehr als Chauvinismus. Aber darüber hinaus hätten die Jungs nichts von ihr wissen wollen. Sie waren noch zu jung, um scharf auf sie zu sein, und als sie es waren, war ihnen der Fußball nicht mehr so wichtig, und sie wollten mit Gloria nichts mehr zu tun haben. Ein Mädchen, das Fußball spielen konnte und auch noch toll aussah, das war zu viel. Und dann die roten Haare.
    Sie machte eine Pause und sah nirgendwohin.
    »Was ist mit den roten Haaren?« fragte ich.
    »Manchmal habe ich mir gewünscht, sie wären nicht da.«
    »Wieso denn?« wollte ich wissen. »Die sehen doch toll aus.«
    »Hexen haben rote Haare«, sagte Gloria.
    »Das ist doch Blödsinn.«
    »Erzähl das mal den kleinen Jungs, die gerade das Wichsen gelernt haben.«
    »Wieso?«
    Und dann erzählte Gloria, daß sie nur deshalb unbedingt beim Fußball mitmachen wollte, weil sie dann weniger gehänselt wurde. Einmal, sagte sie, hätten fünf Jungs sie ins Schulklo gezerrt, ihr mit einer stumpfen Bastelschere mehrere Locken abgeschnitten und sie dann in einer Kabine eingesperrt. Und dann hätten sie sich Zigaretten angezündet und die brennenden Kippen über die Tür zu ihr hineingeworfen. Fast eine ganze Schachtel sei ihnen das wert gewesen, ein Riesenspaß.
    »Das tut mir leid«, sagte ich. Was hätte ich auch sonst sagen sollen. 
     
    Ich meinte es wirklich so. Sie sollte mir noch öfter solche Sachen erzählen. Zuerst dachte ich, sie übertreibt etwas. Aber sie erzählte ohne Selbstmitleid, ohne zur Schau gestellten Schmerz. Sie sah dann aus, als sei sie woanders und würde von dort zu mir blicken.
    »Das hat mich nicht davon abgehalten«, sagte Gloria, »ständig hinter Jungs her zu sein. Ich dachte mir, ich habe zwei Möglichkeiten: Entweder ich laufe weg, oder ich renne ihnen entgegen und zeige ihnen, daß ich keine Hexe bin, daß man mit mir Pferde stehlen kann. Das haben nicht viele begriffen. Ich hoffe, du begreifst es.«
    »Natürlich«, sagte ich. Was hätte ich auch sonst sagen sollen. Ich zog praktisch bei ihr ein, behielt aber meine alte Wohnung. Eines Abends saßen wir auf dem Balkon und tranken Wein, und sie fragte mich, ob ich nicht wissen wolle, woher das ganze Geld komme.
    »Welches Geld?«
    »Naja«, meinte sie und wiegte den Kopf hin und her, »die tolle Wohnung, das Auto, das ständige Auswärtsessen. Und das alles vom Gehalt einer Sportreporterin?«
    »Ich habe keine Ahnung, was die verdienen.«
    »Die Wohnung gehört eigentlich meinem Mann.«
    Ich sagte nichts.
    »Ich bin geschieden.«
    Ich sagte wieder nichts.
    »Schockiert dich das?«
    »Warum sollte es?«
    »Naja, in meinem Alter schon geschieden…«
    »In meinem Alter schon geschieden, das wäre bemerkenswert.«
    »Stimmt, ich vergesse immer, daß du ein paar Jahre jünger bist.«
    »Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen?«
    »Also«, sagte sie und holte Luft. »Als ich zwanzig war, habe

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