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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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unterhielten wir uns sogar mit Kommilitonen, obwohl das Beck unangenehm zu sein schien. Mir machte es nichts aus, es war mir egal, daß die meisten etwas blöd waren. Sie mieden die Seninare am frühen Morgen, und Professoren, die ihnen nicht paßten, waren Faschisten. Beck ärgerte sich darüber. Mich amüsierte es.
    Bevor ich ins Seminar ging, verbrachte ich noch etwas Zeit in der Institutsbibliothek und bereitete mich vor. Dann ging ich ins Seminar, und danach blieb ich manchmal noch mit einigen Kommilitonen oder dem Dozenten auf dem Flur stehen, und dann fuhr ich nach Hause beziehungsweise zu Gloria.
    Die Arbeiten zu den Referaten reichte ich immer bis zwei Wochen vor Semesterende ein, damit ich das Ergebnis noch vor den Ferien wußte. Meine Arbeiten waren ziemlich gut. Jedenfalls sagten das die Zensuren.
    Eine Zeitlang kaufte ich mir kaum CDs und kam mit meinem Geld besser zurecht.
    Im Wintersemester besuchte ich ein Seminar über den Vormärz bei einer Frau, die erst vor einem halben Jahr eine Stelle als Privatdozentin an der Fakultät angenommen hatte. Sie hieß Roberta Appleman und war Halbamerikanerin.
    Das Seminar fand am Mittwoch statt, von vier bis sechs, und manchmal lud sie das Seminar ein, nach der regulären Sitzung noch gemeinsam mit ihr ein oder zwei Bier trinken zu gehen. Ich fing an, mir Gedanken zu machen, in welchem Bereich ich meine Magisterarbeit schreiben sollte, und das neunzehnte Jahrhundert schien interessant zu sein.
    Nach einer dieser Kneipensitzungen nahm Roberta Appleman mich beiseite und sagte, ich solle doch am Montag mal in ihrem Büro vorbeischauen, sie habe etwas mit mir zu besprechen. Ich dachte, vielleicht hatte ihr meine Seminararbeit nicht gefallen, die ich kurz vor Weihnachten abgegeben hatte. Aber als ich am Montag in ihr Büro kam, empfing sie mich betont freundlich, gab mir die Hand und lächelte. Das Büro war mehr eine Art Zelle, die ihre Existenz nur der Tatsache verdankte, daß ein großes Zimmer durch Rigipswände in drei kleine aufgeteilt worden war. Die Wände waren weiß gekalkt, aber Roberta Appleman hatte ihr möglichstes getan, um den Raum ein wenig aufzuwerten. An der Innenseite der Tür hing ein großes Plakat, das zum Jazzfestival nach Montreux einlud und hinter dem Schreibtisch hing ein noch größeres von Neil Young. Die Wand gegenüber zierten zahllose kleine private Fotografien, die meisten davon ordentlich eingerahmt, andere nur mit einer Heftzwecke angepinnt. Auf diesen Bildern waren immer wieder drei bestimmte Kinder zu sehen. Ich vermutete, daß es ihre waren. Auch ein älteres Ehepaar – bestimmt ihre Eltern – erkannte ich mehrmals, und einige Männer, die ich nicht zuordnen konnte.
    »Sehen Sie sich nur alles in Ruhe an«, sagte Roberta Appleman. Sie erklärte mir, wer die Leute auf den Fotos waren. Die beiden älteren Herrschaften waren tatsächlich ihre Eltern, bei den drei Kindern handelte es sich jedoch um ihre Neffen, die Söhne ihrer drei Brüder. »Und das und das und das«, sagte sie und tippte die entsprechenden Fotos an, »sind meine drei letzten Lebensgefährten. Exfreunde. Zwei Amerikaner, ein Deutscher aus Kaiserslautern.«
    So genau hatte ich das gar nicht wissen wollen, und mir war auch nicht klar, was ich jetzt sagen sollte. »Entschuldigen Sie«, sagte Roberta Appleman, »deswegen sind Sie natürlich nicht hier, manchmal geht mein familiärer Besitzerstolz mit mir durch. Setzen Sie sich doch. Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Danke.«
    »Danke ja oder danke nein?«
    »Danke ja.«
    »Ich muß Ihnen allerdings gestehen«, sagte sie, als sie die Thermoskanne von einem kleinen Servierwagen neben dem Schreibtisch nahm, »daß der Kaffee von heute morgen ist, ich glaube nicht, daß er noch sonderlich gut schmeckt. Ich könnte in die Cafeteria gehen und frischen holen.«
    »Wird schon gehen, machen Sie sich keine Umstände«, sagte ich und verpaßte dadurch die Gelegenheit, meine Dozentin zum Kaffeeholen zu schicken. Ich fragte mich, ob ich sie »Mrs. Appleman« oder »Frau Appleman« nennen sollte.
    »Also, weswegen ich Sie um ein Gespräch gebeten habe…« begann sie und machte gleich eine Pause und sah mir zu, wie ich die Kaffeetasse zum Mund führte und einen Schluck nahm. der Kaffee war wirklich ziemlich schlecht, schmeckte bitter und abgestanden. Als ich die Tasse wieder abstellte, redete Frau oder Mrs. Appleman noch immer nicht weiter. Sie schien aber nicht mehr mich anzusehen, sondern einen Punkt an der Wand hinter mir. Ich sah

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