Liegen lernen
große lederne Aktentasche auf und versuchte mit der anderen, einen Stapel Papiere hineinzustopfen. Ich mußte lachen, als ich hereinkam, nachdem ich ein unbestimmt durch die Tür gedrungenes Geräusch als ein »Herein« interpretiert hatte. Als Frau oder Mrs. Appleman mich lachen sah, konnte sie nicht anders und lachte auch, wobei ihr der Apfel aus dem Mund fiel, über den Schreibtisch rollte und zu Boden fiel. Ich bückte mich und hob ihn auf. Sie lachte immer noch, als ich ihr den Apfel gab. Sie steckte ihn in ihre Jackentasche. Ich sagte, ich würde sehr gern an dem Bewerbungsgespräch teilnehmen.
»Eine gute Entscheidung, das werden Sie sehen.«
»Sicher«, sagte ich.
»Tja«, sagte Roberta Appleman, »ich bin gerade dabei zu gehen.«
»Ich bin schon weg.«
»Nein, so war das nicht gemeint. Ich dachte, wenn Sie schon mal da sind, könnten Sie mir vielleicht helfen, ein paar Sachen zu meinem Wagen zu tragen.«
»Klar«, sagte ich, und sie wies auf einen Karton mit Büchern, der auf dem Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch stand. Ich hob ihn hoch, mußte feststellen, daß er sehr viel schwerer war, als ich gedacht hatte, ließ mir aber nichts anmerken und trug ihn auf den Flur hinaus. Roberta Appleman folgte mir mit zwei vollgepackten Taschen voller Papier, stellte sie auf dem Flur ab und verschloß die Tür hinter sich. Wie am Freitagnachmittag üblich, war kaum noch jemand im Gebäude. Einer der Fahrstühle empfing uns mit offenen Türen. Wir stiegen ein und Roberta Appleman stellte eine ihrer Taschen ab, um auf den Knopf zu drükken. Die Türen schlossen sich und wir fuhren abwärts.
Etwa zwischen der zweiten und dritten Etage gab es einen Ruck, und wir steckten fest. Es wurde dunkel, aber ein paar Sekunden später ging die Notbeleuchtung an. Roberta Appleman sah mich fragend an, ich zuckte mit den Schultern. Sie stellte auch ihre zweite Tasche ab und fing an, auf den Knöpfen herumzudrücken, aber es tat sich nichts. Als sie mich wieder ansah, sagte ich, sie solle es doch mal mit dem Alarmknopf versuchen. Sie drückte darauf herum, als wollte sie ihn durch die Wand treiben. Wir hörten nichts, aber das mußte nichts bedeuten.
»Was jetzt?« fragte Roberta Appleman.
»Keine Ahnung. Warten.«
»Stellen Sie doch erst mal den Karton ab.«
»Gute Idee«, sagte ich und stellte erst mal den Karton ab.
»Es ist Freitagnachmittag«, sagte sie. »Was ist, wenn alle schon weg sind? Dann sitzen wir hier bis Montagmorgen.«
»Ich glaube, der Hausmeister ist bis sechs Uhr da.«
»Ich weiß nicht. Und ich muß aufs Klo.« Sie begann »Hilfe« zu rufen, wenn auch nicht besonders laut. »Ich komme mir so blöd vor, wenn ich Hilfe rufe«, sagte sie.
»Kann ich verstehen.«
»Das ist ungefähr so blöd, wie wenn man hinter einem Bus herläuft.«
»›Fahrstuhl zum Schafott‹.«
»Wie bitte?«
»›Fahrstuhl zum Schafotts‹, Louis Malles erster Film. Aus den Fünfzigern. Ein Typ begeht den perfekten Mord, bleibt dann aber im Fahrstuhl stecken. Musik von Miles Davis.«
»Sehr ermutigend.« Sie atmete aus. »Miles Davis, sagten Sie?«
»Genau.«
»Komisch«, sagte sie, »das hätte ich wissen müssen. Ich höre ziemlich viel Jazz.«
»Ich dachte, Neil Young ist mehr Ihr Typ.«
»Wegen des Plakats in meinem Büro? Das ist noch von meinem Vorgänger. Ich habe nichts gegen Neil Young, aber manchmal geht mir seine Stimme auf die Nerven. Hören Sie gern Musik?«
»Ich habe eine Menge Platten.«
»Vinyl oder CDs?«
»Beides.«
»Und welche Richtung?«
»Alles mögliche.«
»Aha.«
»Naja«, sagte ich, »viel aus den Sechzigern, also Beatles, Stones, Dylan, aber auch Springsteen und so.«
»Also sind Sie ein Traditionalist?«
»Mag sein.« Ich wußte nicht, was sie damit meinte, also widersprach ich vorsichtshalber nicht.
Sie drückte noch ein paarmal auf den Alarmknopf. Dann klopften wir an die metallenen Wände des Fahrstuhls, in der Hoffnung, daß irgend jemand uns hörte. Nach etwa einer halben Stunde hockten wir uns hin und fingen an, uns zu unterhalten. Dann hatten wir das Gefühl, der Fahrstuhl neben uns bewege sich, also schlugen wir gegen die Wand, bekamen aber keine Reaktion. Dann sagten wir eine Zeitlang nichts. Die Notbeleuchtung ließ uns beide kränklich aussehen. Ich sah Roberta Appleman an. Sie hatte Grübchen um die Mundwinkel.
»Was sind das eigentlich alles für Bücher?« fragte ich.
»Die habe ich aus der Institutsbibliothek. Eigentlich darf ich sie nur im Büro lesen und
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