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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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nicht mit nach Hause nehmen, also verraten Sie mich nicht.« Sie lachte. Ich sah mir die Bücher an.
    »Ich schreibe einen Aufsatz über Prostitution im Kaiserreich, den ich am Mittwoch abliefern muß, und wenn ich das Wochenende nicht durcharbeite, schaffe ich das nie. Deshalb mußte ich die Bücher entführen.«
    »Wenn wir Pech haben«, sagte ich, »müssen Sie das gar nicht. Dann können Sie hier drin arbeiten.«
    »Sie könnten mir helfen. Ich müßte Sie dann allerdings als Co-Autor nennen und Ihnen die Hälfte des Honorars abgeben.«
    »Hört sich gut an.«
    Wieder lachte sie. Es schien leicht zu sein, sie zum Lachen zu bringen. »Ich könnte ein bißchen was von Ihrer Formulierungskunst gebrauchen. Meine Aufsätze sind meistens ziemlich trokken und nicht unbedingt ein Vergnügen zu lesen. Aber ich kann nicht anders.«
    »Ist ›Kunst‹ nicht ein wenig hoch gegriffen?«
    »Naja, vielleicht ein bißchen, aber ich finde schon, daß Sie ziemlich gut schreiben.«
    »Danke schön.«
    »Was wollen Sie denn nach dem Studium mal machen?«
    »Tja…« sagte ich. »Keine Ahnung.« Schon wieder wollte jemand wissen, was »nach dem Studium« sein würde.
    »Studieren Sie auf Lehramt?«
    »Nein. Nein, auf keinen Fall, bloß nicht zurück in die Schule.«
    »Vielleicht Journalist?«
     

    »Keine Ahnung. Ich habe mir wirklich noch keine Gedanken darüber gemacht.« Und vor allem hatte ich keine Lust, hier darüber zu reden, wo ich keine Möglichkeit hatte, wegzukommen.
    »Darf ich Sie mal was fragen?« begann ich.
    »Nur zu«, sagte Roberta Appleman und zog ihre Knie an die Brust.
    »Ich weiß nicht, ob ich Sie Frau Appleman oder Mrs. Appleman nennen soll.«
    »Also Mrs. schon mal gar nicht, weil ich nicht verheiratet bin.«
    »Aha.«
    »Die meisten Amerikanerinnen in meinem Alter sind geschieden oder leben in Scheidung. Ich habe nie geheiratet. Ich glaube nicht an die Ehe. Sie können Roberta zu mir sagen.«
    »Roberta?« Ich mußte daran denken, wie Brittas Mutter sich damals einfach als Jutta vorgestellt hatte.
    »Naja, vielleicht nicht im Seminar, aber ich habe ein Prinzip, das besagt, daß alle Leute, die mit mir im Fahrstuhl steckenbleiben, mich beim Vornamen nennen können. Aber sprechen Sie es bitte amerikanisch aus, Robörta, nicht Robehrta, das hört sich so albern an. Natürlich bleiben wir erst mal beim Sie. Ich habe Ihren Schein noch nicht unterschrieben.«
    »Von wo in den USA kommen Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Sie dürfen. Vermont. Aber aufgewachsen bin ich in Boston.«
    »Und was hat Sie nach Deutschland verschlagen?«
    »Sie wollen also wissen, wer ich bin und wo ich herkomme?«
    »Nun ja…«
    »Neugier, die Berufskrankheit des Historikers. Ist schon in Ordnung. Ich bin ein Reiche-Leute-Kind, mein Vater war Professor an der Harvard Law School. Meine Mutter kommt aus Kiel, und als sie sich von meinem Vater trennte, ging sie nach Deutschland zurück und nahm mich mit. Ich war damals acht Jahre alt.«
    »Und deshalb glauben Sie nicht an die Ehe.«
     
    »Nicht so schnell. Meine Eltern haben zwölf Jahre später wieder geheiratet, und in diesen zwölf Jahren waren beide jeweils zwei weitere Male verheiratet. Und drei Jahre nach ihrer zweiten Heirat ist mein Vater gestorben. Herzinfarkt.«
    »Und deshalb glauben Sie nicht an die Ehe?«
    »Sie hätten wenigstens sagen können, daß es Ihnen leid tut.«
    »Es tut mir leid.« Es tat mir leid, daß ihr Vater tot war, und es tat mir leid, daß ich nicht gesagt hatte, daß es mir leid tat.
    »Es war vielleicht etwas theatralisch, dieser Satz ›Ich glaube nicht an die Ehe‹. Ich sehe keine Veranlassung zu heiraten, weil… Hören Sie mal, ich kenne Sie gar nicht und rede mit Ihnen über so intime Sachen.«
    »Tut mir leid.«
    »Was ist mit Ihnen, wo kommen Sie her?«
    »Von hier.«
    »Sie sind in der Uni geboren?«
    »Nein, aber in dieser Stadt.«
    »Und Sie sind noch nie hier herausgekommen?«
    »Nur im Urlaub.«
    »Das zählt nicht. Sie sollten mal woanders richtig leben.«
    »Mal sehen.« Wieder ging es um meine Zukunft.
    »Wo haben Sie studiert?« wollte ich wissen.
    »München, Hamburg und Berlin. Und jetzt wollen Sie sicher wissen, wieso ich ausgerechnet hier hängengeblieben bin? Ich habe einfach woanders keinen Job bekommen. Und in zwei Jahren läuft dieser Vertrag hier auch aus, dann kann ich mir wieder was Neues suchen. Akademisches Nomadentum. Das sollten Sie sich überlegen, falls Sie die wissenschaftliche Karriere einschlagen wollen.«
    »Ich habe

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