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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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Minuten von jeder Seite. Wenn man will, kann man sie auch noch mit Senf bestreichen und noch mal zehn Minuten grillen.« Mariele sezierte ihren Schwertfisch mit spitzen Fingern.
    »Und wie macht man die Sauce?« fragte Gloria.
    »Man schält die Schalotten«, sagte Beck, »und schneidet sie in dünne Ringe. Dann verrührt man Wein, Essig, Zucker, Salz und eine Prise Pfeffer in einer großen Pfanne und erwärmt es langsam, bis der Zucker sich aufgelöst hat. Dann kocht man es auf und mischt die Schalotten unter, deckt es zu und läßt es bei schwacher Hitze etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten köcheln, bis die Schalotten glasig und sehr weich sind.« Beck nahm sein Küken auseinander. »Natürlich muß man zwischendurch noch ein paarmal umrühren«, fügte er hinzu.
    »Natürlich«, sagte ich. Gloria stieß mich unter dem Tisch an.
    »Was ist los mit dir, alter Freund«, sagte Beck und kaute auf dem Küken herum.
    »Nichts. Was soll los sein?«
    »Ich spüre schlechte Schwingungen.«
    »Es ist alles in Ordnung.«
    »Er hat sich geziert, etwas Anständiges anzuziehen.«
    »Naja, das hat er ja auch nicht gemacht«, sagte Mariele Kaufmann. »Oh, tut mir leid, war nicht so gemeint.«
    Ich trank Wein. Meine Karaffe war leer. Ich bestellte noch eine.
    Mariele sagte, sie hätte Verwandte in der DDR, die würden sich von Gorbatschow eine Menge versprechen. Ich fragte mich, was Britta sagen würde, wenn sie hier wäre. Ich aß und trank weiter. Ich trank schneller, als gut war. Solange ich trank, konnte ich nichts sagen. Mariele erzählte, daß sie Tennis spielte. Gloria erzählte, daß sie vielleicht im nächsten Jahr aus Wimbledon berichten würde. Mariele war begeistert. Ob Gloria ihr vielleicht eine Karte…? Gloria sagte, sie wolle sehen, was sie tun könne.
    Beck wollte wieder über Politik reden und sagte, ich sei ja früher an der Schule ziemlich aktiv gewesen, gegen die Nachrüstung.
    »Ach ja?« sagte Mariele und hob die Augenbrauen. »Dann stehst du ja jetzt ganz schön blöd da.«
    »Wieso?«
    »Na, ich denke, es ist klar, daß die harte Haltung des Westens die Veränderungen, die Gorbatschow jetzt durchsetzt, erst möglich gemacht hat.«
    »Ach ja?« Ich trank Wein. Es war mir scheißegal, wer was möglich gemacht hatte.
    Als wir fertig waren, schoben wir die Teller von uns weg und bestellten das Dessert. Beck rief den Kellner. Er fragte, ob es gut gewesen sei. Beck sagte, es sei hervorragend gewesen. »Zum Dessert nehmen wir einmal das Grapefruitsouffle mit Campari, den Panettonepudding, das Haselnuß-Birnen-Souffle und den Mango-Limonen-Fool.«
    Der Fool war für mich, nur wegen des Namens. Beck öffnete seinen Hosenknopf und sagte, so könne man es aushalten. Ich trank den restlichen Wein. Das Dessert löffelten wir schweigend. Dann nahmen wir noch jeder einen Espresso und einen Grappa. Beck ließ die Rechnung kommen und zahlte. Gloria gab ihm die Hälfte.
    Wir gingen zu Fuß durch die Stadt nach Hause. Wir waren satt und betrunken. Beck und Mariele gingen voraus, Gloria und ich folgten. Es war spät und kalt. Plötzlich sagte Gloria: »Wart ihr schon mal nachts in der Kirche?«
    »Zu Weihnachten«, sagte Mariele. »Zur Christmette.«
    »Nein«, sagte Gloria. »Ich meine ganz allein. Mitten in der Nacht. Ich weiß, daß die Kirche da vorn am Marktplatz nie abgeschlossen wird.«
    »Laß uns lieber nach Hause gehen«, sagte ich.
    »Nein, ich finde das interessant«, sagte Beck.
    Wir gingen zu der Kirche. Sie war tatsächlich geöffnet. Wir gingen hinein. Es war sehr dunkel. Durch die hohen Fenster fiel das Licht einer Straßenlaterne. Durch das Glas hinter dem Altar konnte man den fast vollen Mond sehen. Unsere Schritte hallten von den Wänden wider. An den Säulen hielten Heilige mit traurigem Blick Wache.
    »Es ist kalt«, sagte Mariele.
    »Während des Gottesdienstes stellen sie Heizgeräte auf«, sagte Beck.
    Gloria seufzte. Sie legte mir ihre Hand auf den Hintern. Beck und Mariele gingen ins rechte Seitenschiff, wo man vor einem kleineren Altar Kerzen anzünden konnte. Gloria nahm mich an der Hand und führte mich nach links vorne. »Sieh mal«, sagte sie, »da ist ein Beichtstuhl.«
    »Ich finde, wir sollten nach Hause gehen«, sagte ich. »Ich bin müde.«
    »So eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder«, sagte Gloria und grinste mich an. Sie öffnete die Tür. Ich hatte noch nie gebeichtet. Ich war Protestant. Und auch das nur auf dem Papier. Sie stieß mich auf den Platz, wo sonst der Priester

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