Liegen lernen
ein paar Meter weiter war dann ein Büfett. In alten Sesseln und auf noch älteren Sofas hingen Leute herum, die aussahen wie aus den Siebzigern entsprungen, mit langen, in der Mitte gescheitelten Haaren und in Jeans und T-Shirts mit Aufdruck, dann wieder sah ich Leute in Anzügen und mit schwarzen Bindern um den Hals, die Sekt oder Champagner in den Händen hielten. Die Musik floß ineinander, und ich kannte nichts davon und hörte gar nicht hin. Es mußten mehrere hundert Menschen da sein, und niemand schien zu wissen, was hier gefeiert wurde.
Mücke besorgte uns Champagner. Es waren unglaublich viele unglaublich schöne Frauen da. Ich sagte zu Mücke, ich müsse mal zur Toilette. Ich drückte mich durch die Leute zu der Treppe hindurch, die wir hochgekommen waren. Ein kleiner Mann im Smoking blinzelte mir zu. Ich war gut gelaunt, also blinzelte ich zurück. Er kam auf mich zu, packte mich am Unterarm und sagte: »Ich habe es! Brauchst du es?« Und noch bevor ich ihn auch nur fragen konnte, was er meine, war er wieder verschwunden. Dann kam mir eine schwarze Frau mit einer Glatze entgegen. Sie trug einen grauen Herrenanzug mit Nadelstreifen. Unter dem Jackett trug sie nichts. Ich blickte in ihren Ausschnitt. Die Frau sah, wo ich hin starrte, griff sich ans Revers und zog es zur Seite und zeigte mir ihre flache, schöne Brust. Dann lachte sie und verschwand. Ich fragte einen Mann, der zwei Kisten mit Champagner trug, wo die Toiletten seien, und er wies mit dem Kinn zur Treppe. Hoch oder runter? Aber da war er schon weg.
Ich ging hinunter. Unten pinkelten ein paar Männer an die Wand. Also pinkelte ich auch an die Wand.
Ich ging wieder nach oben und suchte Mücke. Zwecklos. Ich ging zu einem der Sofas, von dem gerade zwei Leute aufstanden, und setzte mich hin. Für ein paar Minuten kam ich mir vor wie ein Leprakranker, denn keiner wollte sich zu mir setzen. Dann kam ein Mädchen in kurzen Hosen und Netzstrümpfen und Stiefeln und roten Haaren und setzte sich.
»Hast du was zu rauchen?« fragte sie.
»Nee, tut mir leid, Nichtraucher.«
»Scheiße«, sagte sie resigniert, und ich dachte, sie fängt gleich an zu weinen, »ich brauche was zu rauchen. Hast du ’n bißchen was für die Nase?«
»Nee, auch nicht.«
»Scheißwelt. Bist du ’n Ossi?«
»Nein«, sagte ich.
»Gott sei dank.« Sie stand auf und ging weg.
Kurz danach setzten sich zwei neben mich und küßten sich sehr heftig. Dann fingen sie an zu diskutieren.
»Das ist doch Blödsinn!« sagte der Junge, »natürlich machen die wieder dicht, die können doch nicht riskieren…«
»Dann müssen sie uns aber alle totschießen.«
»Das machen die mit links.«
»Und wieso haben sie noch nicht damit angefangen?«
»Was weiß ich. Scheiß drauf.« Dann küßten sie sich wieder sehr heftig. Ich stand auf, nahm mir aus einem herumstehenden Kasten eine Flasche Bier, borgte mir von einem, der in einer hektisch gestikulierenden Gruppe stand, das Feuerzeug, öffnete die Flasche damit, wollte das Feuerzeug zurückgeben, mußte aber feststellen, das die ganze Gruppe nicht mehr da war, und steckte das Feuerzeug ein. Dann trug ich die Flasche ein wenig spazieren.
Dann stand sie plötzlich vor mir. Sie trank Bier und trug etwas ohne Ärmel. Sie schwitzte. Das ständig wechselnde Licht färbte ihr Gesicht mal rot, mal blau, mal grün, mal gelb. Dann setzte irgendeine Stroboskop-Spielerei ein, und alles sah aus wie ein Film, dem man ein paar Bilder entfernt hatte. Sie bemerkte mich nicht, stand im Profil zu mir, sah irgendwohin. Ich betrachtete sie, konnte aber nicht erkennen, ob sie sich verändert hatte, ob sie schöner geworden war oder nicht oder häßlicher oder nicht. Ich hatte sie größer in Erinnerung.
Britta.
Sofort war alles wieder da. Ich küßte sie und faßte sie an. In Gedanken. Ich dachte zurück. Wie sie sich bewegte, wie sie lachte, wie sie mir sagte, wo es langging. Ich war ein Idiot gewesen zu glauben, ich sei über sie hinweg. Sollte sie mit Mücke geschlafen haben, mit der halben Welt, egal! Es war wie bei »Highlander«: Es kann nur eine geben. Aber ich war älter geworden, schlauer. Ich kannte mich ein wenig aus mit der »Vernunft«. Ein berühmter Professor glaubte das jedenfalls. Ich wußte, daß ich für sie nur ein Pudel gewesen war, ein Fell-Muff, in den sie ihre Hände steckte, wenn ihr kalt war. Aber das war mir egal, scheißegal. Ich wollte ein Fußabtreter sein, wenn es nur ihre Füße waren, die mich traten. Ich war vernünftig
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