Life - Richards, K: Life - Life
Steve, wir brauchen was!« Dann ist er nach Chichester zur Boots-Apotheke gefahren, und wenn er wieder zurückkam, erhielt ich die Hälfte von seinem Heroin. Das ging ungefähr ein Jahr so. Steve und Penny waren zurückhaltend und bescheiden. Sie waren keine zwielichtigen Figuren. Er war ein asketischer Typ, groß, hager, mit roten Haaren und einem kleinen Schnurrbart. Ein Philosoph, der Dostojewski und Nietzsche las. Mit seiner Brille sah er aus wie ein Professor, aber er roch besser. Sie waren ein liebenswertes und friedliches Paar. »Möchtest du eine Tasse Tee?« Sie hatten nichts von dem, was man gemeinhin mit Junkies assoziiert. Sie waren sehr zivilisiert. Die beiden haben sich das Heroin in die Venen gespritzt, deshalb habe ich manchmal nach ihnen geschaut. »Penny, lebt Steve noch?« - »Ich glaube schon, Darling. Setz dich erst mal, ich mach uns einen Tee, und dann wecken wir ihn.« Sie waren immer so vornehm. Für jeden stereotypen Junkie kann ich dir zehn andere nennen, die ein rundum geordnetes Leben führen, aus allen möglichen Berufsgruppen, Banker zum Beispiel.
Es war das goldene Zeitalter. Bis’73 oder’74 war alles völlig legal. Dann stoppten sie das Programm, und Methadon wurde eingeführt - was schlechter war oder zumindest nicht besser. Es war synthetisch. Von einem Tag auf den anderen kriegten die Junkies auf ihr Rezept nur noch die Hälfte in Heroin und die andere in Methadon. Damit wurde die Ära der Nachtapotheke am Picadilly Circus eingeläutet. Vor dem Laden bildeten sich Schlangen von
Drogenabhängigen, die nur darauf warteten, dass ihre Haus-Junkies mit dem Stoff aus der Apotheke kamen. Natürlich konnte das System die unersättliche Nachfrage nicht befriedigen. Wir schufen eine Nation von Junkies.
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann ich das erste Mal Heroin nahm. Es kann sein, dass es damals in eine Koksline gemischt war - ein sogenannter Speedball. Wenn du mit Leuten zusammen warst, die schnupften, wusstest du nicht immer, was genau du da gerade nahmst. Das hast du dann erst später gemerkt. »Das war wirklich interessant gestern Nacht, was war das eigentlich? …Oh.« So fängt es unmerklich an mit dem Heroin. Aber du kannst dich nicht wirklich daran erinnern; plötzlich bist du drauf.
Heroin heißt es nicht von ungefähr, der Name ist ja nicht zufällig an eine Heroine, eine Heldin, angelehnt. Es ist die pure Verführung. Man kann sich das Zeug einen Monat reinziehen und dann wieder aufhören. Oder man landet irgendwo, wo man nicht drankommt. Kein großes Problem, es ist ja nur irgendein Zeug, das man mal genommen hat. Einen Tag fühlt man sich vielleicht, als hätte man sich eine Erkältung eingefangen, aber am nächsten Tag ist man wieder fit und gut drauf. Und irgendwann nimmst du es eben wieder. Monate vergehen. Beim nächsten Mal dauert die Erkältung schon ein paar Tage. Keine große Sache, ich versteh nicht, was die Leute haben. Das sollen Entzugserscheinungen sein?
Ich habe mir nie viele Gedanken darüber gemacht - erst als ich wirklich süchtig war. Heroin ist raffiniert, es packt dich langsam. Nach dem dritten oder vierten Mal ist die Botschaft schließlich angekommen. Dann fängt man an zu sparen und spritzt sich das Zeug. Aber ich habe nie in die Vene gespritzt. Das war nie mein Ding. Ich war nie auf den explosiven Flash aus, ich wollte etwas, das mich auf den Beinen hielt. Wenn man in die Vene spritzt, ist der Flash gigantisch, aber schon zwei Stunden später willst du den
nächsten Schuss. Außerdem bleiben sichtbare Narben, das konnte ich mir nicht erlauben. Und ich hatte dünne Venen, die sogar die Ärzte erst mal finden mussten. Also habe ich in den Muskel gespritzt. Ich konnte mir die Nadel reinhauen und spürte nichts. Wenn man es richtig macht, ist der Stoff ein größerer Schock als die eigentliche Injektion. Der Körper reagiert darauf, und währenddessen ist die Nadel schon rein- und wieder rausgefahren. Besonders prickelnd ist es, wenn man sich in den Hintern spritzt. Politisch korrekt ist es allerdings nicht.
Die Zeit um Beggars Banquet und Let It Bleed war eine sehr produktive und kreative Phase, in der wir einige unserer besten Songs schufen. Allerdings war ich nie der Meinung, dass die Drogen per se viel damit zu tun hatten, ob ich produktiv war oder nicht. Vielleicht waren sie für einige geänderte Akkorde oder Textzeilen verantwortlich, aber ich hatte nie das Gefühl, dass meine Arbeit darunter litt oder dass es ihr einen
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