Life - Richards, K: Life - Life
wir als Produzentenpseudonym für unsere eigenen Platten.
Rupert Loewenstein, der kurze Zeit später die Leitung unserer Geschäfte übernahm, hatte uns Zimmer im besten Hotel von Rio gebucht. Plötzlich schnappte sich Anita das Telefonbuch und fing an zu blättern.
»Was suchst du?«, fragte ich.
»Einen Arzt«, sagte sie.
»Einen Arzt?«
»Ja.«
»Warum?«
»Mach dir keine Sorgen.«
Als sie am Nachmittag desselben Tages wieder ins Hotel kam, erklärte sie, dass sie schwanger sei. Mit Marlon.
Was? Hey … das ist ja großartig! Ich war überglücklich. Die Reise wollten wir deshalb trotzdem nicht abbrechen. Wir waren unterwegs nach Mato Grosso. Dort wohnten wir ein paar Tage auf einer Ranch, wo Mick und ich »Country Honk« schrieben. Wir saßen wie Cowboys auf der Veranda, die Stiefel auf dem Geländer, und träumten uns nach Texas. Es war die Country-Version des Songs, aus dem nach unserer Rückkehr in die Zivilisation die Single »Honky Tonk Women« wurde. Wir beschlossen, auch »Country Honk« zu veröffentlichen, auf Let It Bleed , das ein paar Monate später herauskam, Ende’69. Der Song war für die Akustikgitarre geschrieben. An die Ranch erinnere ich mich deshalb so gut, weil jedes Mal,
wenn man im Klo die Spülung zog, diese blinden schwarzen Frösche aus der Schüssel heraushüpften - ein interessanter Anblick.
Marianne musste mit ihrem Sohn Nicholas nach Hause zurückfliegen. Er war auf dem Schiff krank geworden, hatte die meiste Zeit in der Kabine bleiben müssen und brauchte ärztliche Hilfe. Mick, Anita und ich fuhren weiter nach Peru, erst nach Lima und dann nach Cusco, das in 3400 Metern Höhe liegt. Wir waren alle ein bisschen kurzatmig, als wir die Hotellobby betraten, in der von Wand zu Wand riesige Sauerstofftanks aufgereiht waren. Mitten in der Nacht stand Anita auf und musste feststellen, dass die Toilette in unserem Zimmer nicht funktionierte. Also kauerte sie sich zum Pinkeln aufs Waschbecken, und mittendrin krachte das Becken herunter. Aus der Wand schoss Wasser ins Bad. Wie Marx Brothers live, eine Szene wie in den Carry-on -Filmen … Wir also ein paar Lappen ins Loch gestopft und an der Rezeption angerufen. Das Becken war zertrümmert, trotzdem waren die Peruaner sehr nett. Mitten in der Nacht kamen sie herbeigeeilt, machten alles sauber und gaben uns sofort ein anderes Zimmer. Keine empörten Fragen wie: »Wie haben Sie das denn geschafft? Wie kann das Waschbecken da runterkrachen?« Und ich hatte gedacht, die kommen gleich mit den Bullen angerückt.
Am nächsten Tag unternahmen Mick und ich einen Spaziergang. Wir setzten uns auf eine Bank und verbrachten den Tag damit, Kokablätter zu kauen. Als wir ins Hotel zurückkehrten, fanden wir eine Nachricht vor, formvollendet wie vom britischen Konsul: »General Soundso … Ich würde mich glücklich schätzen, Sie begrüßen zu dürfen.« Der fragliche General war der Militärgouverneur von Machu Picchu, der uns in sein Haus zum Abendessen einlud, was wir schlecht ausschlagen konnten. Er war der mächtigste Mann der Provinz, unterschrieb Passierscheine und Reisegenehmigungen. Offenbar langweilte er sich auf seinem Posten, weshalb
er uns in seine Villa etwas außerhalb von Cusco bat. Er lebte mit einem blonden Typen zusammen, einem deutschen Discjockey. Nie werde ich die Inneneinrichtung vergessen, die er aus Mexiko oder direkt aus den USA hatte kommen lassen. Er war einer dieser merkwürdigen Menschen, die durchsichtige Plastikhüllen über ihre Möbel stülpten - in dem Fall wahrscheinlich, weil sonst die Insekten alles angefressen hätten. Die Möbel waren grässlich, aber die Villa an sich war meines Wissens wunderschön, wie eine alte spanische Mission. Der General selbst war ein liebenswürdiger Gastgeber, der uns großartig bewirtete. Und dann kam die Überraschung zur Aufführung, dargeboten von seinem jugendlichen Freund, dem deutschen DJ. Er legte schauerliche Twist-Platten und Plastiksoul auf, und das 1969. Anschließend befahl der General dem armen Kerl, den Swim vorzuführen, eine Art Twist, der mit allen möglichen Schwimmbewegungen aufgepeppt wurde, ein Tanz, der so alt war, dass ich mich kaum noch daran erinnern konnte. Er warf sich auf den Boden, kugelte sich herum und macht Brustschwimmbewegungen. Mick und ich blickten uns bloß ungläubig an. Was soll der Scheiß? Wie kommen wir hier bloß wieder raus? Wir mussten uns mächtig zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Der Bursche gab sein Bestes, er glaubte,
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