Life - Richards, K: Life - Life
in Haight-Ashbury zu hausen. Ein friedliches Zusammenleben, eine andere Art, die Dinge anzupacken. Doch Amerika ist ein Land der Extreme, das immer zwischen Quäkertum und freier Liebe schwankt. Bis heute. Damals waren gerade alle gegen den Krieg. Nach dem Motto: Haut ab und lasst uns in Ruhe high werden.
Nach unserem Rundgang übers Gelände marschierten Stanley Booth und Mick zurück ins Hotel. Ich blieb. Hier gab es was zu sehen, da verzieh ich mich doch nicht bis zum nächsten Tag ins Sheraton. Wenn ich schon hier bin, bleibe ich auch hier. Ich hatte ein paar Stunden, um diese faszinierende Stimmung in mich aufzusaugen. Irgendwas lag in der Luft, man spürte, hier ist alles möglich. Außerdem waren wir in Kalifornien, tagsüber war es also schön warm. Aber mit dem Sonnenuntergang wurde es kalt - und damit begann der Abstieg in Dantes Inferno. Die Hippies wollten auf Teufel komm raus nett zueinander sein. Es wirkte fast schon verzweifelt, dieses ganze Liebesgedöns mit seinem »Komm schon, hab dich nicht so«. Es musste unbedingt funktionieren, es musste sich unbedingt richtig anfühlen.
Dabei waren die Angels keine große Hilfe. Die hatten ihren eigenen Plan, der im Großen und Ganzen lautete: sich möglichst vollständig abzuschießen. Das Gegenteil einer top organisierten Sicherheitstruppe. Manche Angels bissen sich ständig auf die Lippen und verdrehten die Augen. Außerdem parkten sie ihre Chopper direkt vor der Bühne - eine bewusste Provokation. Dazu muss man wissen, dass man den Chopper eines Angels nicht anfassen darf. Die Dinger sind irgendwie heilig. Die Harleys standen also da wie eine magische Grenze, eine Herausforderung. Natürlich musste es irgendwann passieren, so wie die Menge nach vorne drückte. Guckt in das Gesicht des einen Angels in Gimme Shelter - das sagt schon alles. Der hat quasi Schaum vorm Mund. In seinen Lederklamotten, mit seinen Tattoos und seinem Pferdeschwanz steht er da und wartet nur darauf, dass irgendwer seinen Chopper anrührt. Damit er loslegen kann. Gut ausgerüstet waren sie auch. Sie hatten abgesägte Billardqueues dabei, und selbstverständlich trug jeder ein Messer. Sogar ich, aber die Frage ist, ob man das Messer auch zieht und zusticht. Das sollte immer der allerletzte Ausweg sein.
Als wir auf die Bühne gingen, wurde es gerade dunkel, und die Atmosphäre wurde immer unberechenbarer. Richtig brenzlig. Stu, der auch dabei war, brachte es auf den Punkt: »Langsam wird’s heikel, Keith.« Und ich erwiderte: »Da müssen wir jetzt durch, Stu.« Die Menge war riesig, aber durch das Licht sahen wir nur die Leute unmittelbar vor uns. Natürlich blendete uns die Beleuchtung brutal, wie üblich, wenn man auf der Bühne steht. Wir waren also mehr oder weniger blind. Wir sahen nichts, wir hatten keinen Überblick über das, was ablief. Wir konnten nur hoffen.
Was konnten wir tun? Okay, das war immer noch ein Stones-Konzert, ein Druckmittel war uns also geblieben. »Wir spielen nicht«, sagte ich. »Wenn ihr euch nicht zusammenreißt, hören wir auf zu spielen.« Warum soll man seinen Arsch hierher schwingen, wenn man dann nichts zu sehen kriegt? Aber es war zu spät. Kurz darauf war die Kacke am Dampfen.
Im Film sieht man Meredith Hunter die Pistole schwenken, man sieht sogar, wie er erstochen wird. Er trug einen Hut und einen hellen, lindgrünen Anzug. Auch ihm stand der Schaum vorm Mund, er war genauso ausgerastet wie alle anderen. Ich meine, wer mit der Waffe vor einem Hells Angel rumwedelt, der fordert es wirklich heraus. Darauf warten die doch nur. Wahrscheinlich war das Ding nicht mal geladen; er wollte bloß besonders cool sein. Die falsche Idee zur falschen Zeit am falschen Ort.
Keiner bekam seinen Tod mit. Die Show nahm ihren Lauf. Gram, der mit den Burritos aufgetreten war, war auch da. Am Schluss drängten wir uns alle in einen viel zu kleinen Helikopter. Alles wie bei tausend anderen Gigs. Klar konnten wir uns glücklich schätzen, da heil rausgekommen zu sein - es war wirklich brenzlig gewesen, aber das waren wir gewöhnt. Hier war einfach alles eine Nummer größer, und noch dazu in einer unbekannten Umgebung. Aber unser Abgang aus dem Empire Ballroom in Blackpool
war genauso brenzlig gewesen. Ohne den Mord wäre es letztlich sogar erstaunlich glatt gelaufen. Arschknapp zwar, aber trotzdem. Außerdem hatten wir gerade zum ersten Mal »Brown Sugar« auf die Bühne gebracht - eine Taufe im Höllenfeuer, im wirren Rumoren einer kalifornischen Nacht. Erst
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