Life - Richards, K: Life - Life
war nicht mein Stoff. Der hielt zwar den Motor am Laufen, aber für mehr taugte er nicht.
Eines Tages wachst du auf, und urplötzlich hat sich alles geändert. Auf einmal wird dir klar, dass du dir morgens als Allererstes über die Frage den Kopf zerbrichst: Krieg ich das mit dem Dope geregelt? Der erste Punkt auf deiner Liste ist nicht deine Unterhose oder deine Gitarre, sondern: Wo kriege ich heute meinen Stoff her? Nehme ich das Zeug überallhin mit und führe das Schicksal in Versuchung? Oder habe ich Telefonnummern von Leuten, von denen ich sicher weiß, dass da immer was für mich gebunkert ist? Jetzt, da die nächste Tournee anstand, wurde dieses Problem zum ersten Mal akut. Ich war mit meinen Kräften am Ende. Ich wollte auf keinen Fall irgendwo am Arsch der Welt auf dem Trockenen sitzen. Davor hatte ich am meisten Angst. Eher würde ich noch vor der Tour auf Entzug gehen. Dieser Gedanke war schlimm genug, aber die Vorstellung, die ganze Tour aufs Spiel zu setzen, weil ich sie nicht durchstehen würde, war unerträglich - sogar für mich.
Mein Visum für Amerika war abgelaufen, ich musste das Land sowieso verlassen. Außerdem war Anita mit Angela schwanger, für sie war also auch eine Entgiftung fällig. Ich glaube nicht, dass Anita damals süchtig war, sie brauchte das Zeug nicht unbedingt. Ab und zu einen Schuss. Unsere robuste Angela ist der Beweis, dass das Gesundheitsrisiko nicht sonderlich groß war. Ich war derjenige, der total abhängig war. Es war entsetzlich, ein Tanz auf dem Vulkan. Aber ich glaube nicht, dass Anita oder ich daran zweifelten, den Entzug erfolgreich durchziehen zu können. Wir mussten ihn bloß anpacken. Größere Befürchtungen deswegen hatte ich nicht. Das war einfach etwas, das getan werden musste, und zwar sofort. England oder Frankreich kamen nicht infrage, weil ich in beide Länder nicht einreisen durfte. So entschieden wir uns für die Schweiz.
Bevor wir an Bord des Flugzeugs gingen, pumpte ich mich noch einmal voll. Nach dem langen Flug wäre ich bei der Landung schon auf Entzug, und wir hatten keinerlei Vorkehrungen für Nachschub in der Schweiz getroffen. Es wurde dann auch ziemlich übel. Nach unserer Ankunft herrschte großes Durcheinander. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, bloß, dass ich vom Hotel sofort in die Klinik gebracht wurde. June Shelley, die sich in Nellcôte um all unsere Angelegenheiten gekümmert hatte und auch bei dieser Operation das Kommando führte, schrieb in ihren Memoiren, dass sie befürchtete, ich würde noch im Krankenwagen sterben. Anscheinend habe ich schon wie eine Leiche ausgesehen. Ich wurde von Pontius zu Pilatus gekarrt. Ich wollte die Scheiße nur noch hinter mich bringen. Ich wollte Schlafmittel, und zwar genug, dass ich die nächsten zweiundsiebzig Höllenstunden nicht mitkriegte.
Die Entgiftung wurde von einem Dr. Denber in einer Klinik in Vevey durchgeführt. Er war Amerikaner, sein näselnder Akzent klang nach Mittelwesten, aber er wirkte wie ein Schweizer: kurzgeschorene Haare, randlose Brille. Tatsächlich war Dr. Denbers Behandlung vollkommen wirkungslos. Außerdem war er ein hinterhältiger kleiner Wichser. Ich hätte den Job besser von der unbarmherzigen alten Matrone Smitty, Bill Burroughs’ Pflegerin, erledigen lassen sollen. Aber Dr. Denber war der Einzige dort, der Englisch sprach. Ich konnte nichts daran ändern. Ein Mensch auf Entzug ist wehrlos.
Ich habe keine Ahnung, was man sich so landläufig unter einem Entzug vorstellt. Es ist eine grausame Tortur. Sicher, verglichen mit einem weggeschossenen Bein im Schützengraben oder dem Hungertod ist es erträglich. Trotzdem würde ich jedem davon abraten. Der ganze Körper stülpt sich von innen nach außen und stößt sich selbst drei Tage lang ab. Wenigstens hat man die Gewissheit, dass
es nach drei Tagen besser wird. Doch es werden die drei längsten Tage deines Lebens sein, und du fragst dich, warum du dir das antust, warum du nicht einfach das vollkommen normale Leben eines stinkreichen Rockstars führst. Stattdessen kriechst du kotzend die Wände hoch. Warum tust du dir das an? Ich weiß es nicht. Ich weiß es immer noch nicht. Die Haut juckt, die Eingeweide kochen, Arme und Beine zucken und fuhrwerken herum, ohne dass du das Geringste dagegen tun kannst, du kotzt und scheißt gleichzeitig, die Scheiße quillt dir aus Nase und Augen.
Wenn du das zum ersten Mal mitmachst, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ein einsichtiger Mensch sagt: »Ich bin
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