Life - Richards, K: Life - Life
Backgroundsängerinnen, das könnte noch ein bisschen mehr Percussion vertragen. Wir hatten nichts davon notiert, aber alles schon im Kopf. In L. A. wollten wir das Fleisch auf die Knochen packen. In den ersten vier oder fünf Monaten des Jahres 1972 nahmen wir also die Overdubs auf und mischten das Album ab. Ich weiß noch, wie ich im Wagen auf dem Parkplatz von Tower Records oder den Gold Star Studios saß oder den Sunset Boulevard hoch- und runterfuhr und zum vereinbarten Zeitpunkt das Radio einschaltete, wenn einer von unseren Lieblings-DJs einen noch unveröffentlichten Track spielte. Wir
wollten wissen, wie die Abmischung klang. Wie hörte sich der Song im Radio an? War das eine Single? Das lief mit »Tumbling Dice«, »All Down the Line« und vielen anderen so. Mehrere DJs, darunter einer von KRLA und Wolfman Jack, taten uns den Gefallen und spielten die Songs. Währenddessen stand einer von unseren Jungs daneben und nahm die Kopie gleich wieder mit. Mit noch warmen Fingern von der letzten Aufnahme holten wir den Wagen raus und lauschten. Der Verkauf von Exile on Main St. startete nur schleppend. Die Plattenfirmen mit ihrem geballten Wissen und ihren Befürchtungen bezüglich Preisgestaltung, Vertrieb und so weiter behaupteten, dass die Produktion von Doppelalben für sie der Todesstoß sei. Dass wir darauf bestanden, war ein gewagter Schritt wider jede geschäftliche Vernunft. Wir sagten ihnen: Hört zu, das Ding liegt auf dem Tisch, so wollten wir es haben, und wenn dafür zwei Platten nötig sind, dann wird das auch genauso veröffentlicht.
Am Anfang sah es ganz so aus, als würden sie Recht behalten. Aber dann kam Exile ins Rollen und verkaufte sich immer besser. Die Kritiken waren ohnehin gut. Außerdem, ohne mutige Entscheidungen erreicht man gar nichts. Man muss seine Möglichkeiten ausreizen. Wir hatten das Gefühl, dass es uns nach Frankreich verschlagen hatte, um dort was Besonderes auf die Beine zu stellen, und das hatten wir getan. Und jetzt sollte jeder, verdammt noch mal, auch alles zu hören bekommen.
Nach Nellcôte lebten Anita und ich im Stone Canyon. Ich suchte wieder den Kontakt zu Gram - das war unsere letzte gemeinsame Zeit. Das Leben war schön im Stone Canyon, aber wir mussten immer wieder raus, um uns Stoff zu besorgen. Es gibt ein Foto von uns auf Grams Harley. Er vorne, ich hinten, mit Fliegerbrille, auf dem Weg nach L. A., um Stoff zu kaufen. »Hey, Gram, wohin fahren wir?« - »In die Schlaglöcher der Stadt.« Er hat mir Ecken von
L. A. gezeigt, von denen ich keine Ahnung hatte. Viele der Dealer, zu denen wir fuhren, waren Frauen. In der Szene wurden sie FJs genannt, female junkies . Ein oder zweimal kauften wir auch bei Männern, aber die meisten von Grams Kontakten waren Frauen. Er meinte, sie wären die besseren Dealer mit dem besseren Angebot. »Shit haben wir genug, wir brauchen einen Schuss.« - »Ich kenn da ein Mädchen …« Er hatte ein paar Frauen an der Hand, die im Riot House wohnten, dem Continental Hyatt House am Sunset Boulevard - sehr beliebt bei Rockbands, billig, mit Parkplatz für den Bus. Da gab es eine sehr schöne Braut, ein einhundertprozentiger Junkie, die einem falls nötig auch ihre Nadel auslieh. Das war, bevor man sich Sorgen wegen AIDS machen musste.
Außerdem war das die Zeit, als Gram Emmylou Harris kennenlernte und sie zum ersten Mal singen hörte. Die großartigen Duette, die er mit ihr aufnahm, entstanden etwa ein Jahr später. Sein erster Gedanke, als er sie traf, war aber ganz sicher nicht der, mit ihr zusammen zu singen. Er war ein geiler Bock. Und was die Drogenfrage anging: Damals war nirgendwo an der Westküste erstklassiges Heroin auf dem Markt. Wir mussten uns mit diesem mexikanischen Dreck begnügen. Übler Stoff. Er war braun, sah aus wie von der Schuhsohle abgekratzt, und manchmal war er das auch. Meist musste man ihn erst testen. In einem Teelöffel erhitzte man eine kleine Menge, um zu sehen, ob er auch flüssig wurde. Dann roch man daran. Heroin hat einen ganz bestimmten Geruch, wenn man es erhitzt. Traditionelles Heroin wohlgemerkt. Straßenheroin war mit Laktose gestreckt. Wenn man das roch, war es okay, aber das mexikanische Zeug war richtig zähflüssig. Manchmal konnte man es kaum durch die Nadel pressen. Zu der Zeit waren wir ganz schön am Arsch.
Normalerweise ließ ich es nie so weit kommen, dass ich ohne reinen Stoff dastand. Bei dem Zeug von der Straße war bei mir
Ende der Fahnenstange. Ich beschloss auszusteigen. Das
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